[Früherer Unsinn: Vol. 1 | Vol. 2 | Vol. 3 | Vol. 4 | Vol. 5]
Nach dem sinnfreien Dialog mit Rafe handert Serafina weiter mit ihrem Schicksal und läuft tränenblind durch die Gegend. Der Anblick eines pittoresken Teichs, auf dem ein weißer und ein schwarzer Schwan schwimmen, aber vor allem eine majestätische Eiche, den Sera blitzgescheit als Baum des Lebens, Symbol der Göttin Hestia identifiziert, trösten sie.
Serafina ging wie im Traume auf die Eiche zu. Sie wollte diesen mächtigen Stamm berühren, so als könnte er ihr Trost und Kraft spenden. Sie presste ihre Hände auf die Rinde und rieb mit den Fingerspitzen über die raue Oberfläche, um das tief im Holz verborgene Leben zu ertasten.
Kann irgendjemand außer mir die Sinnbildlichkeit dieses mächtigen Stamms nicht verleugnen? Zumal ja damals noch Fahnenstangen aus Holz gemacht wurden? Selbst Serafina ereilt eine folgenschwere Erkenntnis, wenngleich die in ihrem Fall ausnahmsweise nichts mit Fahnenstangen zu tun hat:
Sie hatte sich etwas zusammenfantasiert und einen nüchternen Ehevertrag in ein Märchen unsterblicher Liebe verwandelt. Sie war einfach töricht gewesen, eine romantische Närrin, die einen Mann liebte, der nur in ihrer Fantasie existierte.
Oha. Serafina ist offenbar zu Sinnen gekommen? Ich weiß noch nicht, ob das gut oder schlecht für den weiteren Verlauf der Geschichte ist … vielleicht ist es ja nur eine vorübergehende Erhellung?
Aidan ist derweil auf der Suche nach seiner frisch Angetrauten, von der er ja so angenehm überrascht ist, weil sie sich als die Feenkönigin entpuppt hat. Zum gefühlten siebenundneunzigsten Mal schildert er uns eindringlich seine Gefühle, als er sie am Altar erkannt hat, und freut sich aufrichtig, dass sie nicht – wie befürchtet – als Wasserleiche im Fluss treibt. Schließlich findet er sie weinend unter dem göttlichen Baum und es zerreißt ihn fast vor lauter Mitleid mit ihr.
»Warum weinst du, Serafina?«, fragte Aiden mit der leisen, ruhigen Stimme, die er auch einsetzte, um ein verängstigtes Pferd zu beruhigen.
Ja, warum wohl, Aiden? Wärst du ein Frauenversteher statt ein Pferdeflüsterer, hättest du vielleicht ne Idee dazu! Obwohl, bei Serafina ist das nicht gesagt …
Nachdem eine Seite später geklärt ist, wie Aiden sie gefunden hat, wird notwendigerweise das gestrige Gespräch im Wald noch mal aufgerollt. Für den Fall, dass wir nicht mehr wissen, was Aidan alles so von sich gegeben hat, erfahren wir es noch mal: Serafina sei eine Intrigantin, er würde zur Hochzeit gezwungen, es bestünde keine Chance auf Liebe in dieser Ehe und – der folgende Punkt empört sie besonders – sie sei hässlich! Es ist nicht ganz klar, wieso sie sich darüber jetzt so aufregt, weil sie sich selbst ja auch die ganze Zeit als hässlich bezeichnet, aber nun … Sollen wir uns ernsthaft über Ungereimtheiten wundern?
Aiden jedenfalls macht endlich mal was richtig und versichert ihr recht überzeugend, dass sie gar nicht hässlich ist. Außerdem eröffnet er ihr, dass sie über ein riesiges Vermögen verfügt – was die komische Tante aus unerfindlichen Gründen ihr all die Jahre verschwiegen hatte. Das wird aber erst mal nicht weiter vertieft, sondern Aiden versucht, ein wenig Logik in die ganzen Vorkommnisse in der Vergangenheit zu bringen – der Optimist. Erst mal will er wissen, warum sie ursprünglich eingewilligt hat, ihn zu heiraten – damals, vor 11 Jahren. Dass sie da noch ein kleines Kind war und sie eigentlich auch nie jemand gefragt hat, übergeht sie großzügig. Stattdessen gibt sie eine typische Serafina-Antwort:
»Das frage ich mich allmählich auch. Ich glaubte, dich zu lieben, und ich glaubte, auch du würdest mich lieben.«
Dem Mädel ist auch wirklich nix zu peinlich. Schlimm genug, so was zu denken, aber das dann auch noch zuzugeben … nicht zu fassen! Sieht Aiden wohl auch so, er versucht aber immer noch, einen Sinn hinter der Sache zu finden.
»Aber wie in aller Welt konntest du glauben, dass wir uns lieben, nachdem wir einander nie gesehen hatten?«, fragte er ungläubig. »Ich erinnere mich daran, dass du gestern im Wald gesagt hast, du liebtest den Mann, den du heiraten würdest, aber Liebe kann es doch nur zwischen zwei Menschen geben, die einander gut kennen. Sie entsteht nicht automatisch aus einer Abmachung zwischen zwei Familien.«
Das ist jetzt ein bisschen viel Realitätssinn auf einmal für Serafina, oder?! Aiden muss dringend lernen, sie nicht immer so zu überfordern! Aber ganz nebenbei: Hat Aiden nicht ein beeindruckend gutes Gedächtnis, dass er sich heute noch daran erinnert, was Serafina gestern gesagt hat?
Serafina rieb sich verwirrt die Stirn. »Ich glaube … ja, ich glaube, dass ich mir das im Laufe der Jahre eingeredet habe. Es war für mich unvorstellbar, dass zwei Menschen heiraten, ohne einander zu lieben, und deshalb habe ich mir etwas zusammenfantasiert.
Hm …?! Serafina ist aber leicht aus dem Konzept zu bringen. Kaum redet Aiden auf sie ein wie auf ein totes junges Pferd, beginnt sie auch schon, ihr ganzes Lebenskonzept anzuzweifeln. Kein Rückgrat, diese jungen Dinger. Aiden reagiert aber ziemlich souverän.
»Ich verstehe«, sagte Aiden, was jedoch keineswegs der Wahrheit entsprach. »Nun, das ist ja eine interessante Konzeption. Du warst in Wales sehr viel allein, nicht wahr?«
Eine interessante Konzeption – das ist ja sehr schön ausgedrückt! *lol* Ebenso nett die Ableitung, dass Serafina viel allein war, möglicherweise mit irgendwelchen Feen im Waldhain, oder so! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Aiden versucht weiter, »sich in diesem Labyrinth aus Missverständnissen zurechtzufinden«. Nachdem also die Herkunft von Serafinas amourösen Gefühlen geklärt ist, muss deshalb endlich auch mal aufgearbeitet werden, dass der unschuldige Aiden bis vor elf Tagen gar nichts von der Hochzeitsvereinbarung wusste und deshalb gar nicht eher kommen konnte, um die sehnsüchtig wartende Serafina zu seiner Braut zu machen. Am Ende seiner verwirrenden Ausführungen und Rechtfertigungen steht die alles entscheidende Frage, ob Serafina nicht mit einer ganz anderen Einstellung seine Frau geworden wäre, wenn das Treffen tags zuvor im Wald nicht stattgefunden hätte.
»Vielleicht«, gab sie notgedrungen zu. »Aber auch dann hätte ich bestimmt nach kurzer Zeit erkannt, dass du ein herzloser Schurke bist.«
Beeindruckende Show – vor allem weil sie ja – wir erinnern uns – total auf den Schurken abgefahren ist! Da Aiden aber nun mal keine Kenntnis davon hat, ist er von ihren Worten tief getroffen und bestreitet inbrünstig, ein Schurke zu sein. Serafina lässt sich davon selbstmurmelnd nicht täuschen, denn schließlich hat er sie ja geküsst. Am Tag vor seiner Hochzeit. Sie, obwohl sie ihm gesagt hat, dass sie auch heiratet – einen Mann, den sie liebt. Ergo: Aiden ist sehr wohl ein Schurke. Der Schurke allerdings wehrt sich weiterhin beharrlich gegen den Vorwurf.
»Hör mir jetzt mal gut zu«, stöhnte er. »Ich habe dich geküsst, weil mir danach zumute war, nicht mehr und nicht weniger.«
Wenn das mal kein durchschlagendes Argument ist?! Und taktisch wahnsinnig klug, ausgerechnet Serafina gegenüber die Bedeutung des Kusses herunterzuspielen. Sie bleibt folgerichtig zickig, und Aiden fährt den Karren immer tiefer in den Dreck.
»Könnten wir uns nicht darauf einigen, dass dieser Kuss auf eine vorübergehende Geistesverwirrung zurückzuführen war? Ich war da, du warst da, und mich überkam einfach die Lust, dich zu küssen.«
Möööp. Netter Versuch, aber leider nicht so richtig gut durchdacht! Ich meine, welche Frau möchte schon gerne als Geistesverwirrung bezeichnet werden? Okay, im vorliegenden Fall isses es völlig wurscht, denn alles, was Aiden sagt oder nicht, führt dazu, dass sie ihn für einen gefühllosen Wüstling und vollkommen unmoralisch hält. Sie schließt ihre ermüdende Tirade mit einer unumstößlichen Absage an einen positven Ausgang der Angelegenheit:
»Es tut mir Leid, aber ich kann dich nur verachten.«
Das verursacht beim armen Aiden eine faszinierende klassische Übersprungshandlung, verbunden mit der totalen Kapitulation.
Er riss ein Grasbüschel aus und starrte es an, so als hätte er noch nie im Leben Gras gesehen. »Dazu hast du auch jedes Recht.« Seine Stimme klang leicht belegt. »Du warst völlig ahnungslos und unschuldig und hast dich auf deine Ehe gefreut, und ich habe dich – wenngleich unabsichtlich – tief gekränkt und all deine Hoffnungen und Träume jäh zunichte gemacht.« In diesem Moment verabscheute er sich selbst.
Ganz schön viel Kreide gefressen, eh? Gut, dass Serafina nicht an die mangelhafte Aufklärungsarbeit des Wüstlings denkt – das wäre wirklich der Supergau an schurkischen unverzeihlichen Missetaten. So aber lenkt die Madame ein, so viel Reue muss schließlich honoriert werden – zumal Aiden es über die Lass-uns-erst-mal-Freunde-sein-Schiene versucht und ihr glaubhaft versichert, dass er sie mag, z.B. weil sie aufrichtig ist. Dann jedoch macht er einen folgenschweren Fehler, er beschreibt mit seinem Daumen Kreise auf ihrer Handfläche. Serafina, erfahren wie sie nun mal ist, durchschaut das natürlich sofort.
»Ich hätte es wissen müssen!« Serafina riss sich wütend los. »Nachdem ich jetzt schon ein bisschen Erfahrung mit Verführungskünsten habe, weiß ich genau, was du mit mir vorhast. Du willst mit mir schlafen, stimmts?«
Potzblitz, was so ein bisschen Aufklärungsarbeit doch bewirken kann! Der sexfixierte Aiden erkennt den Ernst der Lage blöderweise zunächst überhaupt nicht.
»Nicht hier und jetzt. Ich wollte es mir eigentlich für später aufsparen.«
Als Serafina erbleichend aufspringt, fällt ihm wieder ein, dass sie sich ja gestern im Wald von ihm hat aufklären lassen, und er rekapituliert das Gespräch noch mal schnell, für den Fall, dass wir dummen Leser, die wir nicht von A nach B denken können, es vergessen haben sollten. *augenroll* Die unbedarfte Schönheit läuft derweil zu Bestform auf und lamentiert darüber, dass sie nicht bereit ist, Sex ohne Liebe zu vollziehen. Selbst Aiden platzt da ein wenig der Kragen und er verklickert ihr, dass Ehemänner üblicherweise auf ihr Recht bestehen würden. Das kommt natürlich bei Serafina nicht so gut an, und nach längerem Gezerre gibt ihr der gutmütige Aiden ein Versprechen, das euch ebenso wenig wie mir gefallen dürfte:
»Ich werde auf deine Gefühle Rücksicht nehmen. (…) Ich will damit sagen, dass ich nicht mit dir schlafen werde, bis du selbst es willst, aber ich hoffe, dass du nichts dagegen hast, das Bett mit mir zu teilen.«
Er will warten, bis Serafina so weit ist! Mir schwant Böses! Andererseits schlafen sie immerhin in einem Bett und Aiden lässt uns Leser wissen, dass er dabei durchaus Hintergedanken hat.
»Er hoffte, sie mit scheinbar zufälligen Berührungen doch noch für Liebesspiele gewinnen zu können.«
Er unterschätzt allerdings Serafinas Sturheit. Sie willigt nämlich zwar ein, bei ihm im Zimmer zu schlafen, damit die Dienstboten nicht reden, schließt aber aus, gemeinsam mit ihm im Bett zu schlafen. Es folgt eine längere Diskussion darüber, dass Aiden ja vielleicht auf dem Sofa, Boden oder sonstwo im Zimmer schlafen könnte, doch Aiden appelliert gekonnt an ihr Mitgefühl. Mit seiner Frage, ob Sera wirklich möchte, dass er jeden morgen mit steifen Gliedern aufwache, trifft er mitten ins Schwarze. Sein Triumphgefühl dauert aber nur kurz an, denn Serafina hat eine neue durchschlagende Idee:
»Ich habe irgendwo gelesen, dass es in Amerika durchaus nicht unüblich ist, ein Brett in die Mitte des Bettes zu legen.«
Anderer Länder, andere Sitten – da soll noch mal jemand sagen, dass Lesen nicht bildet. Aiden wäre es allerdings wahrscheinlich lieber, seine Titania sei Analphabetin, denn dann würde sie ihm nicht mit einem solchen Unsinn kommen. Er hat jetzt auch endgültig die Nase voll und weigert sich strikt, ein Brett in seinem Bett zu dulden. Und außerdem macht er Serafina unmissverständlich klar, was Sache ist.
»Ich bin bereit zu warten, bis du mich auch begehrst. Solltest du jedoch beschließen, dass du für den Rest deines Lebens als Nonne leben willst, dann werde ich mich tatsächlich anderweitig amüsieren, um dich mit meiner Leidenschaft zu verschonen.«
Serafina ist natürlich mal wieder schockiert, aber mir macht es Hoffnung, dass ich irgendwann doch noch mal erlebe, wie sie von der Fahnenstange gepfählt wird!
Ah, so läuft das also: Hochzeitsnacht als Finale. Oder ist das der Auftaktband für eine Serie? So in der Art von den Bis(s)-Büchern? Wenigstens verheiratet sind sie schon. ;-)
Oh je, diese beiden sind furchtbar anstrengend. Würden die mir im wirklichen Leben begegnen, würde ich sie wahrscheinlich beide würgen.
LeseLustFrust, meinst du der Nachfolgeband heißt dann Bis zum Ende der Fahnenstange? (Sorry, ich konnte es mir wirklich nicht verkneifen).
Bis zum Ende der Fahnenstange?! *rofl*
LeseLustFrust, Gott sei Dank ist das ein Einzeltitel, soweit ich das herausfinden konnte. Eine ganze Serie mit diesen Irren bleibt uns erspart, allerdings gibts noch einige andere Bücher von der Autorin, falls du Bedarf hast! ;)
@SusiB: Toller Titel! ;)
Habe ich nicht gesagt, sie läuft erstmal weg? Aber ich dachte, etwas weiter. Alles in allem fühle ich mich veralbert, denn ich wollte das erste Beisammensein … mhm. Und jetzt schlafen sie also in einem Bett (mit einem Brett in der Mitte? Ich denke sie weiß nichts vom „Eheleben“, aber dass es manchmal so ein Brett gibt, das ist ihr bekannt?) und … ja was? Beginnt ein „Verwirrspiel der Sinne“?
Ich finde das alles ziemlich anstrengend ehrlich gesagt. Danke Irina, dass Du das alles für uns auf Dich nimmst!
Mensch, da hat sich der Pferdeflüsterer aber ganz schön ins Zeug gelegt und das erfolglos… es war wieder ein herrliches Lesevergnügen :D Ich freue mich schon auf Vol. 7 ^^
Ich finde es unsportlich, dass es nur ein Einzeltitel ist. Protest! Die Autorin schöpft doch eindeutig aus einem unglaublichen Ideenpool und Stoffreichtum. ;-)
Aus purer Enttäuschung werde ich alle anderen Bücher dieser Autorin verweigern, nur damit ihr es wisst! Und dass mir jetzt keine mit „Feigheit“ oder „mangelnder Leidensfähigkeit“ kommt!
Das Brett in Verbindung mit der Eiche und der Fahnenstange ist nicht uninteressant. Irina, kannst du bitte dein Augenmerk auf weitere hölzerne Sachen (nein, nicht den Stil!) lenken? Nicht, dass uns ein wichtiger Interpretationsschlüssel entgeht.
Hölzerne Sachen, hm. Vielleicht gibt es ja noch ein spannendes, dramatisches Finale mit einem Holzschuhtanz um einen Maibaum? Also ich finde dieses Buch sehr inspirierend. Es sollte einen Im Schatten des Windes-Fanfiction-Wettbewerb geben, den derjenige gewinnt, der die absurdesten Ideen hat ;-) Wobei die Autorin selbst in der Hinsicht natürlich völlig konkurrenzlos ist.
Ich muss sagen, ihr lauft alle zu Bestform auf – Frau Kingsley scheint wirklich extrem inspirierend zu wirken! :D
„Bis zum Ende der Fahnenstange“ – ich lach mich tot!
Noch ein Titelvorschlag von mir für das Sequel:
„Im Schatten der Fahnenstange“ ;-)