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[Rezension] Martin Walker: Bruno. Chef de Police

Originaltitel: Bruno. Chief of Police
1. Teil der Bruno-Courrèges-Serie

Inhalt:
Bruno Courrèges – Polizist, Gourmet, Sporttrainer und begehrtester Junggeselle von Saint-Denis – wird an den Tatort eines Mordes gerufen. Ein algerischer Einwanderer, dessen Kinder in der Ortschaft wohnen, ist tot aufgefunden worden. Das Opfer ist ein Kriegsveteran, Träger des Croix de Guerre, und weil das Verbrechen offenbar rassistische Hintergründe hat, werden auch nationale Polizeibehörden eingeschaltet, die Bruno von den Ermittlungen ausschließen wollen. Doch der nutzt seine Ortskenntnisse und Beziehungen, ermittelt auf eigene Faust und deckt die weit in der Vergangenheit wurzelnden Ursachen des Verbrechens auf.

Kommentar:
Angelesen und nach knapp 100 Seiten schon wieder abgebrochen – den ersten Fall von Bruno Courrèges. Wie schon Peter Mayles »Ein diebisches Vergnügen« (Rezension) war mir dieses Buch viel zu wenig Krimi und viel zu viel Frankreichlobgesang. Möglicherweise bin ich zu unflexibel und wenig kompromissbereit, aber wenn ich einen Krimi lesen will, dann will ich einen guten, spannenden Kriminalfall, keinen Reiseführer und auch kein kulinarisches Namedropping. Und da ich außerdem kein ausgemachter Frankreichfan bin, hab ich erst recht keine Lust auf französischen Lokalpatriotismus und französische Vergangenheitsbewältigung – nennt mich ignorant, aber ich kann mir wahrlich Spannenderes vorstellen als die französische Résistance, den Algerienkrieg und französische EU-Kritik, verkauft von einem Schotten. Überdies kommt mir der Blick des Autors aufs Périgord relativ klischeebehaftet und verklärt vor, aber da ich nie dort war, kann ich es nicht wirklich beurteilen.

Bruno selbst, der in diversen Rezensionen mit Brunetti verglichen wird und angeblich wahnsinnig charismatisch sein soll, ist in meinen Augen ein furchtbar perfekter Gutmensch, der weniger dem von der EU gegängelten französischen Staat dient als seiner Stadt und deren Bürgern. Er ist also ein echter Mann des Volkes, der für alle und jeden Verständnis hat, mit jedem gut Freund ist, ständig alle möglichen Augen zudrückt und den Bewohnern von Saint-Denis zumindest kleinere Vergehen durchgehen lässt – besser ist das, sonst würden ihm möglicherweise über kurz oder lang die Tennis- bzw. Rugbypartner ausgehen. Ich bin alles wirklich andere als obrigkeitshörig, aber die Figur wirkt auf mich wahnsinnig langweilig und unglaubwürdig, und Beschreibungen wie »Er war noch jung, und seine geschmeidigen, energischen Bewegungen zeugten von guter Kondition« oder »die vollen Lippen unter dem sorgfältig gestutzten kleinen Schnauzbart lachten sichtlich gern« (beides S. 7) machen die Sache nicht gerade besser.

Erzählerisch und sprachlich überzeugt mich das Buch auch nicht wirklich; die Krone setzt dem Ganzen der übermäßige Einsatz französischer Begriffe auf, die auch noch kursiv gedruckt werden. Das ist so überflüssig wie nervig und stört einfach nur. Man muss geläufige Bezeichnungen wie »Marseillaise«, »Paté« oder »Rilettes« nicht kursiv setzen, ebenso wenig wie man tausend Mal »chef de police«, »police municipale« und »police nationale« kursivieren muss (mal abgesehen davon, dass ich ohnehin finde, dass man sowas ruhig übersetzen kann). Noch viel weniger muss man krampfhaft französische Vokabeln einstreuen (»Pamela erschien wieder mit einem Krug gekühltem citron-pressé«, S. 64), schon gar nicht, wenn sie man sie auch noch umständlich erklären muss (»Sein Beruf war mit gardien, Hausmeister, angegeben.«, S. 89). Soll das französisches Flair bringen? Klappt nicht – zumindest nicht, was mich angeht.

Fazit:
Überhaupt nicht mein Ding; man muss m.E. schon Frankreichliebhaber sein, um dieses Buch begeisternd zu finden.

Serieninfo:
01 Bruno, Chief of Police | Bruno. Chef de police
02 The Dark Vineyard | Grand Cru
03 Black Diamond

Nancy Atherton: Tante Dimity und der verschwiegene Verdacht

OT: Aunt Dimity and the Duke
1. Band der Tante-Dimity-Serie

Inhalt:
Emma Porter ist vierzig, ziemlich mollig, nicht gerade schick gekleidet und eine leidenschaftliche Gärtnerin. Als ihr langjähriger Lebensgefährte sie wegen einer jüngeren und schlankeren Blondine verlässt, flieht Emma aufs Land. Sie ahnt nicht, dass die geheimnisvolle Tante Dimity ihre Hände im Spiel hat, als sie ausgerechnet in Penford Hall landet, einem alten Schloss in Cornwall. Dort erwarten sie ein mysteriöses Rätsel um eine Zauberlaterne und andere mörderische Geheimnisse …

Kommentar:
Diesmal mach ichs wirklich kurz, weil ich mit dem Lesen von »Tante Dimity und der verschwiegene Verdacht« schon genug Zeit verschwendet habe und nicht noch mehr Zeit mit dem Schreiben einer Rezension dazu vertun will. Dieses Buch, das als »schönster Wohlfühlkrimi aller Zeiten« angepriesen wird, hat wirklich das Zeug dazu, einen zu Tode zu langweilen. Mir war natürlich klar, dass es sich bei der Tante-Dimity-Serie nicht um spannungsgeladene, nervenzerreißende Thriller handelt, sondern um gemütliche »Häkelkrimis«, aber ein bisschen weniger Langeweile wär schon wünschenswert gewesen. Ich empfand das alles einfach als wahnsinnig unbedeutend: Die Personen sind ganz nett, aber blass, die Handlung verläuft – trotz einer ganz guten Grundidee – mehr als schleppend, und die Aufklärung des Krimifalls ist auch ganz schön abstrus. Aber immerhin hab ich viel mehr über Gartenbau und Pflanzen erfahren, als ich je wissen wollte.

Fazit:
4/15 – Ich hab mich wirklich gequält mit diesem Buch und die zweite Hälfte nur quergelesen. Dennoch mag ich die Serie noch nicht für immer abschreiben, denn ich habe einen Funken Hoffnung, dass der Einstiegsband, der eine Art Vorgeschichte erzählt, vielleicht Schwächen hatte, die bei der eigentlichen Serie nicht mehr vorhanden sind.

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Serieninfo:
Als erster Band der Tante-Dimity-Serie ist »Tante Dimity und das geheimnisvolle Erbe« erschienen; »Tante Dimity und der verschwiegene Verdacht« erzählt aber eine Art Vorgeschichte der Serie und sollte zuerst gelesen werden, falls man die Chronologie innerhalb der Bücher einhalten will.


01 Aunt Dimity and the Duke | Tante Dimity und der verschwiegende Verdacht
02 Aunt Dimity’s Death | Tante Dimity und das geheimnisvolle Erbe
03 Aunt Dimity’s Good Deed | Tante Dimity und der unerhörte Skandal
04 Aunt Dimity Digs In | Tante Dimity und das verborgene Grab
05 Aunt Dimity’s Christmas | Tante Dimity und der Fremde im Schnee
06 Aunt Dimity Beats the Devil | Tante Dimity und der Kreis des Teufels
07 Aunt Dimity: Detective | Tante Dimity und der unbekannte Mörder
08 Aunt Dimity Takes a Holiday | Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
09 Aunt Dimity: Snowbound | Tante Dimity und der unheimliche Sturm
10 Aunt Dimity and the Next of Kin | Tante Dimity und der verhängnisvolle Brief
11 Aunt Dimity and the Deep Blue Sea | Tante Dimity und die unheilvolle Insel
12 Aunt Dimity Goes West | Tante Dimity und der Wilde Westen
13 Aunt Dimity: Vampire Hunter | Tante Dimity und die Jagd nach dem Vampir
14 Aunt Dimity Slays the Dragon | Tante Dimity und der gefährliche Drache
15 Aunt Dimity: Paranormal Detective | Tante Dimity und die Geister am Ende der Welt

[Rezension] Peter Mayle: Ein diebisches Vergnügen

Originaltitel: The Vintage Caper

Inhalt:
Einen solch heiklen Fall hat die ebenso intelligente wie attraktive Elena Morales noch nie in ihrer Versicherung bearbeiten müssen: Als Sanitäter getarnte Diebe haben den Weinkeller eines reichen Anwalts aus Los Angeles leer geräumt und sind in einem Krankenwagen mit 600 Flaschen edelsten französischen Weines im Wert von drei Millionen Dollar entkommen. Als Komplize dabei war der Hausmeister des Anwalts, der den Dieben das Tor öffnete.

Elena will den Schaden vorerst nicht begleichen, zu obskur scheint ihr der Fall, zu schleppend laufen die polizeilichen Ermittlungen an. Glücklicherweise ist ihr Teilzeitgeliebter Sam Levitt frankophil und ein Weinkenner von hohen Gnaden. Da er zwischenzeitlich auf die schiefe Bahn geraten ist und dringend Geld braucht, kann er Elenas Angebot nicht ausschlagen: Er soll den gestohlenen Wein aufspüren. Nur im Erfolgsfall erhält er einen Lohn. Die Intuition sagt ihm: Wenn ausschließlich französischer Wein geraubt wurde, muss es sich um eine Art patriotischen Diebstahl handeln, um eine Rückführung des Weines in seine Heimat. Die Spur führt nach Marseille, und Sam nimmt sie auf seine Weise auf: lustvoll, unkonventionell und unverschämt raffiniert.

Kommentar:
Ich will es einigermaßen kurz machen, denn viel gibt das Buch auch gar nicht her. Obwohl die Grundidee, der Weindiebstahl, eigentlich ganz nett und mal was anderes ist, bietet der Kriminalfall bestenfalls Stoff für eine Kurzgeschichte. Deshalb ist er großzügig angereichert mit zahlreichen Nebenthemen rund um die französische Lebensart jeder Couleur: In aller Ausführlichkeit erfährt der Leser jede Menge Details über Gebäude und Straßenzüge sowie Mode und französische Lässigkeit, über Weingüter, Weingeschmack, Weingeschichte und Grundsatzfragen rund um den Wein, etwa: »Aus welchem Land kommt der beste Wein?« (ratet!), »Sind Schraubverschlüsse Korken vorzuziehen?« oder »Gibt es den perfekten Gaumen?« Und weil Detektiv Sam und seine bordelaise Assistentin Sophie während ihrer Ermittlung außer Weintrinken im wesentlichen Essen, bleiben ausführliche Beschreibungen von Nobelrestaurants und unverfälschten, charmanten, touristenfreien Klitschen, von Menüfolgen, Speisen, kulturellen Geschmacksunterschieden (Innereien sind toll, auch wenn Amerikaner sie nicht zu schätzen wissen) und Esstechniken (etwa der des Austernessens) nicht aus. Üblicherweise tragen solche Dinge zum Flair eines Buches bei und ich mag Einblicke in eine Kultur durchaus gerne, doch hier ist das Verhältnis zwischen Kriminalfall und kulturellen Aspekten vollkommen unausgewogen und macht deshalb keinen Spaß mehr – zumindest nicht, wenn man einen Krimi und keine Glorifizierung Frankreichs lesen will.

Wie Hauptfigur Sam, verbrecherischer Ex-Jurist, es zum Versicherungsdetektiv gebracht hat, ist unklar; er dürfte nämlich zu den unfähigsten Ermittlern gehören, die mir je begegnet sind: Selbst die naheliegendsten Dinge kommen ihm nicht in den Sinn und müssen ihm von Dritten – meist in Gestalt einer schönen Frau – eingeflüstert werden. Das verwundert allerdings nicht weiter, wenn man sich seine Grundregel bei kriminaltechnischen Ermittlungen betrachtet: »Um den Tathergang zu verstehen, muss man zum Ausgangspunkt zurückkehren. Und der befindet sich in diesem Fall im Herkunftsland des gestohlenen Weines.« (S. 61) Nun ja … zumindest ist es ein guter Grund für eine Reise ins gelobte französische Land, wie sogar Auftraggeberin Elena erkennt, die übrigens praktisch keine Rolle spielt, obwohl sie im Klappentext so prominent erwähnt wird.

Zur mangelhaften Ausarbeitung des Kriminalfalls und den wenig überzeugenden Ermittlern passt dann das Ende, das zumindest mal ungewöhnlich ist. Obwohl ich persönlich einen vielleicht langweiligen, aber »vernünftigen« Ausgang einer Geschichte bevorzuge, kann ich normalerweise auch mit unorthodoxen Auflösungen leben – vorausgesetzt, sie sind gut begründet und nachvollziehbar. In diesem Fall ist das aber leider nicht so, insofern ist auch der Ausgang der Geschichte eher unfassbar denn überzeugend.

Hinzu kommen dann noch Erzähltechniken, die mir so gar nicht liegen. Zahllose Figurenperspektiven, die komplett unnötig sind, sind das erste Ärgernis: Das Buch startet aus der Sicht des Weinsammlers, der später bestohlen wird, und geht über in die Perspektive des Diebes. Anschließend ist erneut der Weinsammler am Zug; seine Perspektive geht mitten im Gespräch auf Versicherungsfrau Elena über, bevor irgendwann endlich Ermittler Sam ins Spiel kommt, dessen Assistentin Sophie natürlich ebenfalls Teile der Geschichte schildern darf. Zu allem Überfluss wird die Erzählung aus der Sicht einer Person durch vereinzelte Gedanken einer anderen Figur unterbrochen, und zwischenzeitlich meldet sich auch noch immer wieder ein allwissende Erzähler zu Wort. Das geht einfach gar nicht.

Fazit:
5/15 – Eine Geschichte, die sich leicht und locker nebenbei weglesen lässt, die aber eigentlich kein Krimi, sondern eine Liebeserklärung an Frankreich und die französische Kultur ist. Angesichts des Hintergrunds von Peter Mayle, einem nach Frankreich ausgewanderten Briten, der seine Erlebnisse in der neuen Heimat schon in mehreren Büchern (u.a. »Mein Jahr in der Provence«) sehr erfolgreich verarbeitet hat, ist das wohl keine echte Überraschung; vielleicht hätte er dabei bleiben sollen, statt sich aufs Krimigenre zu verlagern.

[Rezension] Lucie Flebbe: Hämatom

2. Teil der Lila-Ziegler-Serie

Inhalt:
»Mein Name ist Lila Ziegler, ich habe mindestens zwei verschiedene Aufputschmittel und jede Menge Alkohol zu mir genommen …« – Lila Ziegler macht mal wieder keine halben Sachen. Nachdem sie zwei Wochen daran gearbeitet hat, ihren Beziehungsschmerz zu betäuben, begibt sie sich in eine Klinik zur Entgiftung. Dort fällt ihr eine Putzfrau auf, deren Arm ein auffälliges Hämatom ziert. Nur ein paar Tage später wird Lila Zeugin, wie die junge Frau an einem Herzinfarkt stirbt. Lilas Neugier ist geweckt: War das wirklich ein natürlicher Tod? Dreist bewirbt sie sich auf die frei gewordene Stelle der Abteilungsleitung in der Putzkolonne und bald bietet sich ihr ein sehr widersprüchliches Bild von der Verstorbenen: liebevolle Mutter oder nymphomanisches Flittchen? Hilfsbereite Kollegin oder karrieresüchtige Zicke? Als Privatdetektiv Ben Danner in der Klinik auftaucht, muss sich Lila endlich ihm und ihrer eigenen Geschichte stellen. Gleichzeitig kristallisiert sich ein handfestes Motiv für einen Mord heraus …

Kommentar:
Lila Ziegler ermittelt wieder – diesmal über weite Strecken ohne Danner, wegen dem sie unter heftigem Liebeskummer leidet. Nachdem sie sich eine Weile mit Drogen und Alkohol abgeschossen hat, landet sie schließlich im Krankenhaus, wo ihr eine junge Putzfrau mit auffälligem Hämatom auffällt. Nicht viel später stirbt die Reinigungskraft an einem Herzinfarkt, doch Lila kommt die Sache seltsam vor. Nicht zuletzt, um sich von ihren eigenen Problemen abzulenken, erschleicht sie sich die frei gewordene Stelle der Verstorbenen, um herauszufinden, ob Janna wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist.

Wie schon im ersten Teil der Serie gibt es auch hier wieder einige Unglaubwürdigkeiten, vor allem was Lilas Einstellung als Leiterin der Putzkolonne angeht. Zudem geht die Neu-Detektivin auch in ihrem neuen Fall nicht besonders geschickt: Auf die ihr eigene, wenig subtile Weise befragt sie alle möglichen Zeugen und Verdächtigen und legt sich in Windeseile mit den falschen Leuten an – kurzum: Sie tut alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und als verdeckte Ermittlerin aufzufliegen. Dennoch gilt, was auch für »Der 13. Brief« galt: Trotz solcher Ungereimtheiten macht das Buch Spaß. Es ist zwar etwas weniger humorvoll als Band 1, und der Fokus liegt diesmal mehr auf dem Fall als auf Lila und den anderen Figuren, aber das schadet nicht – im Gegenteil: Der neue Fall ist überzeugender als der erste, denn er ist deutlich spannender und glaubwürdiger. Und Lila ist und bleibt trotz einiger seltsamer Verhaltensweisen und Angewohnheiten eine tolle Heldin mit trockenem Humor und einer manchmal recht eigenen Sicht der Dinge.

Ein wenig schade fand ich, dass die merkwürdig-charmante Hausgemeinschaft von Lila, Danner und Molle so in den Hintergrund gerückt wurde und dass Molle ebenso wie Lilas Freundinnen aus Band 1 und Kommissar Staschek nur einen Kurzauftritt hatten, es besteht aber berechtigte Hoffnung, dass sich das im nächsten Band wieder ändert.

Nach wie vor gewöhnungebedürftig ist die Einbindung der wörtlichen Rede in den Text, z.B.: »›Ich wollte euch erst bekannt machen‹, schwitzte Herold.«, S. 69. Sowas lässt mich immer wieder stolpern und ist für mich einfach sinnentstellend: Sätze werden m.E. nicht herausgeschwitzt, ebenso wenig wie sie gezwinkert oder genickt werden. Ich bin mir nicht sicher, ob sowas noch als stilistische Eigenheit durchgeht oder schlicht falsch ist.

Fazit:
11/15 – Ein netter Krimi, bei dem die Mischung zwischen Handlung und Figuren ausgewogener ist als noch beim Vorgänger.

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Serieninfo:
01 Der 13. Brief (Rezension)
02 Hämatom (Rezension)

[Rezension] Lucie Klassen: Der 13. Brief

1. Teil der Lila-Ziegler-Serie

Inhalt:
Die 20-jährige Lila entscheidet sich zu einem radikalen Schnitt: Statt, wie von ihren Eltern gewünscht, ihr Jurastudium in Münster anzutreten, steigt sie in Bochum aus dem Zug, um dort ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Mittels eines Tricks erschleicht sie sich bei Privatdetektiv Danner zunächst nur einen kostenlosen Schlafplatz, dann aber sogar einen Job. Denn Danner, eigentlich ein notorischer Einzelgänger, steckt mit seinem jüngsten Fall in der Sackgasse: Die erst 16-jährige Eva hat in ihrer Schule Selbstmord begangen. Im Auftrag seines Freundes Staschek, dessen Tochter mit der Toten befreundet war, soll Danner nun die Hintergründe ermitteln. Doch obwohl er sich als Sportlehrer in die Schule einschmuggeln konnte, findet er nichts über das Motiv des Freitods heraus. Unversehens findet sich Lila auf der Schulbank wieder und nicht nur ihre Gefühlswelt gerät in Gefahr …

Kommentar:
Das Debüt von Lucie Klassen (inzwischen Flebbe), für das die Autorin 2009 mit dem Friedrich-Glauser-Preis in der Kategorie »Bester Erstlingsroman« ausgezeichnet wurde, lässt mich mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Einerseits hat mich das Buch mit seinen tollen, wenn auch sehr eigenen Figuren und dem Erzählstil nämlich sehr gut unterhalten; andererseits ist die Handlung nicht wirklich überzeugend.

»Der 13. Brief« steht und fällt mir seiner Hauptfigur Lila Ziegler, die zunächst einfach nur ein aufsässiges Mädchen aus gutem Hause zu sein scheint, im Laufe der Geschichte aber ihren schwierigen Hintergrund offenbart. Auf ihrem Selbstfindungstrip in Bochum erlebt sie erstmals wie es ist, wenn sich jemand um einen kümmert und wenn man verliebt ist, außerdem schließt sie zum ersten Mal in ihrem Leben Freundschaften – die allerdings dummerweise auf einer Lüge basieren, denn ihre Aufgabe ist es, ihre neuen Freundinnen über den Tod von Eva auszuhorchen. Entsprechend glaubwürdig sind auch die Selbstzweifel, die Lila immer wieder befallen, wenn sie einem der Mädchen eine Lügengeschichte auftischt, um etwas über Evas Selbstmord herauszukriegen. Obwohl sie manchmal ziemlich sarkastisch, dreist und anstrengend ist, ist Lila ingesamt eine sehr charmante und authentische Heldin.

Ebenso glaubwürdig sind die beiden Herren, die sich Lilas annehmen: Kneipenwirt Molle und Privatdetektiv Danner. Molle ist die gute Seele des Buchs und der Fels in der Brandung – er gibt Lila einen Job, Essen und sorgt für einen Schlafplatz. Danner hingegen ist weniger nett: Er will Lila am liebsten sofort wieder loswerden und ist ein echtes machohaftes Raubein; eigentlich ist er genau so, wie man sich einen abgehalfterten, schlecht gelaunten und dennoch charismatischen Privatdetektiv vorstellt. Und auch bei den restlichen Nebenfiguren beweist Flebbe viel Abwechslungsreichtum und ein sehr gutes Händchen – sowohl bei den Lehrern als auch bei den Schülern, unter denen sich zwar einige sonderbare Charaktere tummeln, die es jedoch normalerweise an jeder Schule wirklich gibt.

Weniger überzeugend als die Personen ist – wie bereits angesprochen – die Handlung. Schon Danner kommt mir in seiner Rolle als Aushilfssportlehrer nur bedingt glaubwürdig vor. Dass dann aber auch noch die tatsächlich 20-jährige Lila als 16-Jährige von einem Tag auf den anderen ohne irgendwelche Dokumente oder Eltern/Erziehungsberechtigte mal eben in einer Schule angemeldet werden kann, wo sie trotz ihrer Unerfahrenheit als verdeckte Ermittlerin tätig werden soll, ist wirklich wenig wahrscheinlich. Ebenso wenig wahrscheinlich ist, dass sie als vier Jahre jüngeres Mädchen durchgeht (während sie sich übrigens an anderer Stelle ebenso problemlos für sechs Jahre älter ausgibt) und von Evas Freundinnen sofort akzeptiert wird, denn Mädchen in diesem Alter schließen meiner Erfahrung nach nicht so schnell neue Freundschaften. Und dass Lila nach der Schule ständig zusammen mit Danner in der Gegend herumzieht und Leute befragt, scheint mir auch nicht gerade ein effektives Vorgehen zu sein, um die Tarnung aufrechtzuerhalten. Der Fall an sich mit all seine Verwicklungen ist letztendlich etwas konstruiert und nur bedingt glaubwürdig, alles in allem aber trotzdem ganz spannend.

Stilistisch ist das Buch im Zusammenspiel zwischen Erzähltext und wörtlicher Rede bisweilen etwas eigen (um es mal vorsichtig zu formulieren). Immer wieder findet man Konstruktionen wie: »›Sie hat sich allein mit ihm im Keller getroffen!‹, wurde sie dann sofort wieder wütend.«, S. 181, oder: »Sein Blick wurde so kalt, dass mir ein Schauer über den Rücken kroch: ›Wenn du nicht sofort die Biege machst, fliegst du raus, ist das klar?‹«, S. 183. Davon abgesehen ist der Roman aber flüssig, humorvoll und extrem unterhaltsam geschrieben.

Fazit:
10/15 – Ein Buch, das viel Charme hat und gute Unterhaltung bietet, wenn man nicht allzu intensiv über die Handlungs-/Logikmängel nachdenkt.

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Serieninfo:
01 Der 13. Brief (Rezension)
02 Hämatom (Rezension)

[Rezension] Charlaine Harris: Tod in Shakespeare

Originaltitel: Shakespeare’s Landlord
1. Teil der Lily-Bard-Serie

Inhalt:
Lily ist 31 Jahre alt wohnt im kleinen, scheinbar harmlosen Ort Shakespeare in Amerikas verschlafenem Süden und verdient ihr Geld mit Putzen. Ihr Hobby ist Karate. Sie ist Einzelgängerin und achtet streng auf ihre Unabhängigkeit. Denn sie hat große Angst davor, dass irgend jemand die Geheimnisse ihrer Vergangenheit entdeckt.

Kommentar:
»Tod in Shakespeare« ist der erste Band der fünfteiligen Lily-Bard-Serie – und der einzige, der hierzulande übersetzt wurde. Da das Buch bereits 2004 erschienen ist, gehe ich auch nicht davon aus, dass noch was nachkommt; möglicherweise ist die Serie hinter den Verkaufserwartungen zurückgeblieben, was mich aufgrund des nichtssagenden Klappentextes nicht wirklich wundern würde.

Lily Bard lebt seit einigen Jahren zurückgezogen im Südstaatennest Shakespeare, wo sie trotz eines Collegeabschlusses als Putzfrau arbeitet. Als sie eines Nachts auf einem ihrer Spaziergänge beobachtet, wie die Leiche des Hausverwalters entsorgt wird, gerät sie in eine Zwickmühle: Soll sie den Toten einfach im Park liegen lassen oder das Verbrechen melden und damit riskieren, dass die Polizei in ihrem Privatleben herumwühlt, das sie bislang so sorgfältig geschützt hat? Sie entscheidet sich für einen anonymen Anruf, befindet sich damit aber dennoch im Visier des Polizisten Claude Friedrich, der ahnt, dass Lily es war, die ihn alarmiert hat. In der Folge wird sie nicht nur mit ihrer schlimmen Vergangenheit konfrontiert, sondern sie gerät außerdem von einer bedrohlichen Situation in die nächste. Das hindert sie aber nicht daran, ihre eigenen Nachforschungen darüber anzustellen, wer den Hausverwalter auf dem Gewissen hat.

»Tod in Shakespeare« ist trotz des Titels eigentlich nicht wirklich ein Krimi: Der Mord ist nur von untergeordneter Bedeutung und seine Aufklärung läuft eher nebenbei ab; dennoch ist der Fall solide und plausibel. Im Zentrum des Buches steht die Vergangenheitsbewältigung der Zynikerin Lily, die sich mit Putzjobs finanziell über Wasser hält und versucht, ihre Ängste durch Fitness- und Karatetraining in den Griff zu kriegen. Sie ist eine manchmal distanziert wirkende und ziemlich komplexe, aber sehr interessante Figur, die in diesem Band der Serie ihre ersten Schritte in ein neues, freieres Leben macht.

Man lernt aber nicht nur Lily kennen, sondern auch zahlreiche ihrer Kunden. Die Ausarbeitung der Kleinstadtszenerie mit ihren teils etwas merkwürdigen Bewohnern und deren Beziehungen untereinander ist wesentlicher Bestandteil der Geschichte, weshalb die Handlung sich manchmal etwas zieht. Das Buch erweckt den Eindruck eines typischen Einführungsbandes einer durchkonzipierten Serie, für die hier erst mal die Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen – notwendig, aber zum Teil ein wenig zäh. Hinzu kommt, dass die Informationsflut bisweilen schwer zu überschauen ist und die Vielzahl der Personen schwer auseinanderzuhalten sind; das gibt sich aber im Laufe der Zeit.

Fazit:
10/15 – Trotz einiger Abstriche ein gutes Buch, das vor allem von seiner tragischen Heldin lebt.

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Serieninfo:
01 Shakespeare’s Landlord | Tod in Shakespeare
02 Shakespeare’s Champion
03 Shakespeare’s Christmas
04 Shakespeare’s Trollop
05 Shakespeare’s Counselor

[Rezension] Deborah Crombie: Wenn die Wahrheit stirbt

OT: Necessary As Blood
Duncan Kincaid und Gemma James, Buch 13

Inhalt:
Der Psychotherapeut Tim Cavendish ist besorgt, da sein Patient, der Rechtsanwalt Nazir Malik, nicht zur vereinbarten Sitzung erschienen ist. Vor einigen Wochen war Nazirs Frau spurlos verschwunden, und der Rechtsanwalt stand längere Zeit unter Verdacht, ihr etwas angetan zu haben. Als kurz darauf seine Leiche gefunden wird, übernimmt Superintendent Duncan Kincaid den Fall. Handelt es sich um Selbstmord? Oder wurde Nazir ermordet? Gemeinsam mit seiner Frau Inspector Gemma James kommt Duncan einem grausamen Geheimnis auf die Spur.

Kommentar:
In ihrem dreizehnten Fall ermitteln Superintendent Duncan Kincaid und Detective Inspector Gemma James im Londoner East End. Zunächst befasst sich Gemma – zu Hilfe gerufen von ihrem alten Freund Tim Cavendish – eher inoffiziell mit dem Verschwinden des Anwalts Naz Malik. Als nicht viel später dann die Leiche des Mannes gefunden wird, übernimmt Duncan Kincaid die Sache offiziell, während Gemma auf eigene Faust im Hintergrund weiterermittelt – allerdings in eine etwas andere Richtung: Ihr vorrangiges Interesse gilt der knapp dreijährigen Tochter des Anwalts, deren Zukunft ungewiss ist. Einige Monate vor der Ermordung ihres Vaters ist nämlich bereits ihre Mutter spurlos verschwunden, und Gemma setzt alles daran zu verhindern, dass das Mädchen bei der zweifelhaften Verwandtschaft untergebracht wird, weshalb sie versucht, deren mangelhafte Eignung als Vormund nachzuweisen. Bei ihren Nachforschungen kreuzt sie aber immer wieder Duncans Weg und erfährt einige wissenswerte Dinge, die auch ihrem Lebensgefährten nutzen.

Wie gewohnt ist der Kriminalfall sehr solide aufgebaut: Es gibt viele lose Fäden, die im Laufe der Zeit logisch zusammengeführt werden, und die Ermittler und ihre Assistenten leisten richtig gute Ermittlungsarbeit, in deren Verlauf die Informationen mühsam schrittweise zusammengepuzzelt werden müssen; auf einen reißerischen Showdown mit viel übertriebener Action kann daher zum Glück verzichtet werden. Zusätzliche Spannung bezieht der Fall aus der Frage, ob die verschwundene Frau des Toten möglicherweise noch lebt. Ziemlich gut eingefangen sind auch Atmosphäre und gesellschaftliche Probleme im Londoner East End, über das man jeweils zum Kapiteleingang viel Interessantes erfährt.

Dass Crombie das Privatleben ihres Ermittlerpaares in die Handlung einbindet, daran hat man sich inzwischen schon gewöhnt, und obwohl ich sowas nicht besonders mag, geht die Autorin dabei so unaufdringlich vor, dass es mich bislang nicht weiter gestört hat. Diesmal war es mir aber erstmals ein bisschen zu viel: Nicht nur wegen Gemmas Liebe-auf-den-ersten-Blick-Beziehung zur kleinen Tochter des Toten, sondern auch, weil wieder einmal Bekannte der Ermittler in den Fall verwickelt sind, wenn auch nur oberflächlich. Zudem hadert Gemma mit ihrer Familie, sorgt sich um ihre leukämiekranke Mutter sowie um ihre Freundin Hazel, die just aus Schottland zurückgekehrt ist, und kriegt kalte Füße wegen der anstehenden Hochzeit mit Duncan. Ich hoffe, dass die Familienprobleme der Ermittler die Fälle nicht irgendwann gänzlich überlagern und dass die Autorin die privatem Aspekte wieder etwas zurückschraubt.

Fazit:
13/15 – Wie immer ein richtig guter Krimi aus Crombies Feder, der allerdings sehr auf die privaten Belange der Ermittler setzt.

Serieninfo:
01 A Share In Death | Das Hotel im Moor
02 All Shall Be Well | Alles wird gut
03 Leave The Grave Green | Und ruhe in Frieden
04 Mourn Not Your Dead | Kein Grund zur Trauer
05 Dreaming Of The Bones | Das verlorene Gedicht
06 Kissed A Sad Goodbye | Böses Erwachen
07 A Finer End | Von fremder Hand
08 And Justice There Is None | Der Rache kaltes Schwert
09 Now May You Weep | Nur wenn du mir vertraust
10 In A Dark House | Denn nie bist du allein
11 Water Like A Stone | So will ich schweigen
12 Where Memories Lie | Wen die Erinnerung trügt
13 Necessary As Blood | Wenn die Wahrheit stirbt

Bill Napier: Der 77. Grad

Originaltitel: Shattered Icon

Inhalt:
Der britische Buchhändler Harry Blake wird von einem reichen Lord gebeten, ein verschlüsseltes, 400 Jahre altes Manuskript zu enträtseln. Es scheint sich um ein Tagebuch zu handeln, verfasst von einem Schiffsjungen. 1585 begleitete dieser den Abenteurer Sir Walter Raleigh auf einer Expedition in die Karibik. Ihr Ziel: der 77. Grad, der Längengrad Gottes. Als sein Auftraggeber ermordet wird, begreift Blake, dass in dem mysteriösen Journal aus der Zeit von Königin Elisabeth I. ein dunkles Geheimnis verborgen sein muss. Gemeinsam mit der Historikerin Zola Khan deckt Blake eine unglaubliche Verschwörung auf …

Kommentar:
»Pageturner« bezeichnet ja eigentlich ein Buch, das so super und spannend ist, dass man gar nicht aufhören kann weiterzublättern resp. -lesen. Bei »Der 77. Grad« allerdings, von der Edinburgh Times angepriesen als »Ein Pageturner, bei dem man sich die Finger wundblättert« bekommt das Wort eine neue Bedeutungsebene. Das Problem mit den wunden Fingern kommt nämlich eher daher, dass man die langweiligen, sich stetig wiederholenden und zu allem Übel zum Teil auch noch völlig zusammenhanglos aneinandergereihten Ausführungen möglichst schnell hinter sich bringen will.

Fazit:
Abgebrochen wegen Unerträglichkeit. Will man sich gähnende Langeweile und wunde Finger vom Pageturnen ersparen, feuert man das Buch am besten gleich in die Ecke und nicht erst – wie ich – nach 100 Seiten quälender Langeweile.

Jack Ketchum: Evil

OT: The Girl Next Door

Inhalt:
Eine Vorstadt in den USA der Fünfzigerjahre. Kein schlechter Ort, um seine Jugend zu verbringen – weitab von McCarthys Kommunistenjagd, dem Kalten Krieg und der Atombombe. Doch dieser Ort hat auch seine düsteren Seiten, wie der junge David bald erfährt. Denn in der kleinen ruhigen Sackgasse, in der er und seine Freunde wohnen, geschehen in einem Keller Dinge, von denen niemand weiß und die auch nicht ans Tageslicht kommen sollen. Was passiert, wenn der Wahnsinn ungebremst seinen Lauf nimmt und das Böse von den Menschen Besitz ergreift.
Soweit der Klappentext. Um aber mal ganz kurz auf den Punkt zu bringen, worum es eigentlich geht: Das Buch handelt von der monatelangen systematischen Misshandlung eines jungen Mädchens.

Kommentar:
Als »Meisterwerk der psychologischen Spannnug und gleichzeitig eines der schockierendsten Werke der modernen Literatur« wird das Buch im Klappentext bezeichnet, und ich habe selten eine treffendere Verlagsbeschreibung gelesen. Schon bald war ich kurz davor, das Buch abzubrechen, weil das Maß an dargestellter psychischer wie physischer Gewalt so unerträglich war, und bis kurz vor Schluss habe ich immer wieder bezweifelt, ob ich das Ganze wirklich noch länger ertragen kann. Letztendlich hab ich »Evil« aber doch – und zwar mit wachsendem Entsetzen – bis zum bitteren Ende verfolgt, weil ich es einfach nicht weglegen konnte. Die grauenvollen Ereignisse haben – obwohl sie so abstoßend sind – eine dermaßen morbide Faszination auf mich ausgeübt und gleichzeitig eine solche Beklemmung in mir ausgelöst, wie ich es noch nie erlebt habe. Fassungslos stand ich da und konnte nicht glauben, was da passiert – und dass es passiert, obwohl es so viele Mitwisser gibt.

Verstörend sind aber nicht nur die detailliert erzählten Ereignisse rund um Megs Misshandlungen, sondern auch die Erkenntnis, welche Wirkung Macht auf die Menschen ausüben kann, wie sich die eigenen Werten und die Vorstellung von Gut und Böse in solchen Situationen verschieben können und welche Konsequenzen Schweigen bzw. Wegsehen haben kann. Irgendwie begreift man auf einmal, was Mittäterschaft bedeutet – und zwar in jeder Hinsicht. Denn irgendwann stellt man fest, dass man ebenso wie David trotz aller Abscheu ob all des Grauens und der Brutalität ebenfalls keine Konsequenzen zieht und stattdessen in stummem Entsetzen die Ereignisse verfolgt.

Wertung:
Wie soll man ein Buch bewerten, das man gleichzeitig abstoßend, widerlich und grauenvoll, gleichzeitig aber emotional zutiefst verstörend und fesselnd findet? Ich habe keine Ahnung. Ich werde dieses Buch definitiv nie wieder lesen und weiß auch nicht, ob man es lesen muss. Für mich war es eine einmalige Leseerfahrung, die mir wirklich ans Gemüt gegangen ist; ob es die gebraucht hätte … ich weiß es nicht! Tatsache ist jedenfalls, dass mich noch nie ein Buch so aufgewühlt und entsetzt zurückgelassen hat wie dieses – und zwar schon bevor ich entsetzt zur Kenntnis nehmen musste, dass der Roman auf einem wahren Fall basiert. (Ausführliche Informationen auf Englisch bei TruTV.)

Stieg Larsson: Vergebung

Inhalt:
Mit einer Kugel im Kopf wird Lisbeth Salander in die Notaufnahme eingeliefert. Sie hat den Kampf gegen Alexander Zalatschenko, berüchtigter Drahtzieher mafiöser Machenschaften, ein weiteres Mal knapp überlebt. Aber wird sie gegen den schwedischen Geheimdienst bestehen können, der alle Kräfte mobilisiert, um sie ein für alle Mal mundtot zu machen? Zu groß ist die Gefahr, dass sie die Verbindung zwischen Zalatschenko und der schwedischen Regierung aufdeckt. Unterdessen arbeitet Mikael Blomkvist unter Hochdruck daran, Salanders Unschuld zu beweisen. Es fehlen nur noch wenige Details, und er wird das Komplott gegen Salander aufdecken. Auch als seine Ermittlungen von höchster Stelle massiv behindert werden, führt Blomkvist seine Arbeit unbeirrt fort. Er weiß genau, dass er nur noch diese eine Chance hat, um Lisbeth Salander zu retten.

Kommentar:
Der letzte Teil der Trilogie schließt zeitlich unmittelbar an die Ereignisse in »Verdammnis« an – und zwar so nahtlos, dass ich mich ernsthaft frage, wie ich eigentlich glauben konnte, Teil 2 sei abgeschlossen gewesen! Meisterhaft, wie Larsson das hingekriegt hat. Damit »Vergebung« notfalls auch als ohne die beiden Vorgängerbände funktioniert, wird auf den ersten ca. 300 Seiten allerdings auf die vergangenen Ereignisse zurückgeblickt, vieles (nochmal) erkärt, erhellt und konkretisiert. Dies geschieht zu weiten Teilen aus einer ganz neuen Perspektive, aus der Sicht der »Sektion« nämlich, die zumindest für mich schwer verständlich und verdaulich war. Mit der Aufdeckung der Rolle des Verfassungsschutzes wandelt sich der Krimi zu einem äußerst komplexen Spionage-/Verschwörungsthriller – und das ist eigentlich so gar nicht mein Thema. Trotzdem schaffte es das Buch nach der anfänglichen Durststrecke, mich vollkommen in seinen Bann zu ziehen und wurde so spannend und fesselnd, dass ich es gar nicht mehr weglegen konnte.

Die mit Abstand interessanteste Figur, Lisbeth Salander, wurde zumindest als agierende Person notgedrungen erst mal weit in den Hintergrund gerückt – was aber zugegebenermaßen unvermeidbar war, da sie ja am Ende des zweiten Teils außer Gefecht gesetzt wird und anschließend handlungsunfähig ist. An ihrer Stelle ermittelt zunächst vorrangig Mikael Blomkvist, der unbeirrt für Lisbeth, die Aufklärung der »Zala-Affäre« und vor allem für Gerechtigkeit kämpft; im späteren Verlauf der Geschichte kommt aber auch Salander selbst wieder zum Einsatz und hat maßgeblichen Anteil an ihrer Rehabilitation.

Wertung:
13/15 – Nachdem man die ersten 300 Seiten überstanden hat, entwickelt sich das Buch zu einem echten Pageturner. Obwohl insgesamt etwas schwächer als die beiden Vorgänger, ist »Vergebung« ein würdiger Abschluss dieser herausragenden Millennium-Trilogie.