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[Unsinn lesen mit Irina] Im Schatten des Windes, Vol. 5

[Früherer Unsinn: Vol. 1 | Vol. 2 | Vol. 3 | Vol. 4]

Wir spulen erst mal ein Stück zurück und erleben die Sache noch mal aus Serafinas Sicht. Die Visionärin freut sich wie verrückt darauf, das Gelöbnis abzulegen, das sie in längst vergangener Zeit an einem fernen Ort schon mal abgegeben hat. In Erinnerungen schwelgend, gilt ihr vordringliches Interesse aus unerfindlichen Gründen erst mal dem Bischof. Der ist enttäuschenderweise ein anderer ist als in ihrem Traum, also konzentriert sie sich anschließend lieber auf den Bräutigam. Der lässt ihr Herz nicht gerade schneller schlagen.

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[Unsinn lesen mit Irina] Im Schatten des Windes, Vol. 4

[Früherer Unsinn: Vol. 1 | Vol. 2Vol. 3]

Obwohl der Braut sicher ein ausgiebiger Schönheitsschlaf gut zu Gesicht gestanden hätte, verbringt sie eine weitgehend schlaflose Nacht. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass der Gedanke an die bevorstehende Hochzeitsnacht ihr den Schlaf geraubt hat, denn Serafina wäre nicht Serafina, wenn sie nicht noch mal alles von vorn aufrollen würde: Die Tante hat das gesagt, der Schurke hat jenes gesagt, vielleicht hat die Tante einfach keine Ahnung, blöderweise hat die Tante immer recht, warum hab ich nur kein Schiff genommen und bin nach Frankreich abgehauen (die Chancen, auf nem Schiff nen Schurken aufzutun, hätten sicher auch nicht schlecht gestanden!). Für den Fall, dass wir ihre lebhafte Zusammenfassung aus dem vorherigen Kapitel inzwischen vergessen haben, erinnert sie uns auch noch mal an ihre Ängste, wobei sie uns mit einem neuen pikaten Detail versorgt – es geht offenbar immer noch schlimmer!

»Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es angenehm war, von einer Fahnenstange durchbohrt zu werden und wie ein Schwein zu bluten.« (S. 74)

Eine zirpende und bestens gelaunte Elspeth reißt Serafina aus ihren trüben Gedanken und überrascht sie mit einem prachtvollen Hochzeitskleid, bevor sie ein rituelles Reinigungsritual durchführt, das bei Serafina mal wieder zu einer Vision führt: Sie sieht ihre Hochzeit mit Adam (wer nicht mehr weiß, wer Adam ist, der sei auf Vol. 1 von »Unsinn lesen« verwiesen) vor ihrem inneren Auge und weiß mit hundertprozentiger Sicherheit: Sie hat Aidan vor langer Zeit schon mal geheiratet. Alle Ängste sind wie weggeblasen und sie ist erfüllt von tiefem Glück. Hach! Vielleicht wird der Tag doch nicht so schlimm. Und die Nacht auch nicht, trotz der Fahnenstange, dem Korken und dem Blut.

Als sie nicht viel später in ihr altmodisches Hochzeitskleid gequetscht ist und die Blumenkränze erfolgreich auf ihrem Haupt drappiert sind, wirft sie einen skeptischen Blick in den Spiegel und ist ganz verblüfft von ihrem eigenen Anblick. Sie findet, dass sie fast hübsch aussieht und fragt die Tante um ihre Meinung. Die offenbart mal wieder ihr erfrischendes Talent, ihre Nichte von ihrem Höhenflug herunterzuholen.

»Hübsch?« Elspeth schürzte die Lippen. »Nein, das würde ich nicht sagen.«

Aaaaaaaah! Ich kanns nicht mehr ertragen. Wie lange will uns die Autorin eigentlich noch für dumm verkaufen? Natürlich ist Serafina nicht »hübsch«, sie ist wunder-wunder-wunderschön! Wie es sich für eine Feenkönigin eben gehört. Grrrr.

Serafina befindet jedenfalls wieder auf dem Boden der Tatsachen, arrangiert sich mit dem Gedanken, am heutigen Tag wenigstens nicht gar zu abstoßend zu wirken, und tritt gemeinsam mit der Tante den Gang nach Canossa an. In der Halle trifft sie zunächst auf ihren künftigen Schwiegervater, Lord Delaware. Der scheint endgültig des Wahnsinns kesse Beute geworden zu sein, er faselt nämlich davon, dass sein Sohn gerade mal wieder nicht abkömmlich ist wegen einer frisch eingefangenen Erkältung. Eine schwere Erkältung, um genau zu sein. Grandiose Ausrede, um nicht heiraten zu müssen, ich bin beeindruckt. Serafina auch.

Serafinas Herzschlag stockte bei dem Gedanken, dass nun auch Aidan ein Opfer der Anfälligkeit seiner Familie geworden war. »Oh nein!«, rief sie und rannte den letzten Treppenabsatz hinab, anstatt würdevoll zu schreiten. »Ist es etwas ernstes, Lord Delaware? Haben Sie den Arzt kommen lassen?«

Bei Serafinas Anblick beschließt Lord Delaware, dass Aidan doch nicht krank ist. Am Ende eines konfusen Dialogs sind verständlicherweise alle ziemlich verwirrt, und der Tross von Wahnsinnigen macht sich auf zur Kapelle, in der die schicksalsträchtige Hochzeit stattfinden soll.

Dort wartet Aidan schon, allerdings überlegt er noch, vielleicht doch schnell noch einen Passagierdampfer nach China zu nehmen. (Zum Glück will er nicht auch nach Frankreich, so wie Serafina, sonst bestünde die Gefahr eines Zusammentreffens der Flüchtigen!) Cousin Rafe hält ihn davon ab, muss sich aber zur Strafe das Lamento über die bevorstehende Hochzeitsnacht anhören – in dem aber immerhin keine Fahnenstange vorkommt, wie ich bemerken möchte. Nachdem Rafe Aidan mit lustigen Geschichten über gezogene Zähne so erfolgreich unterhalten hat, dass es für die Flucht zu spät ist, ertönt auch schon die Musik, die die Braut ankündigt. *hibbel*

Nach einigem Ringen bringt Aidan schließlich den Mut auf, einen Blick in den Mittelgang zu werfen, durch den die Braut heranschreitet. Der Schock ist größer als befürchtet.

Vor Schreck fiel er fast in Ohnmacht.

Wie war das noch mit der angegriffenen Gesundheit der Familie? Mir scheint, die habens alle mit den Nerven. Immerhin hat er Verstand genug, um nach einer Weile darauf zu kommen, dass es die über siebzigjährige Elspeth ist, die da vorweg stolziert – da hat uns die Autorin doch mal wieder drangekriegt mit ihrem lustigen Verwirrspiel, bevor sie zum ersten großen Höhepunkt überleitet.

*trommelwirbel*

Unter tatkräftiger Mithilfe der Sonne, die dramatisch durch ein Fenster fällt und einen goldenen Schein auf Serafinas Antlitz zaubert, kann Aidan schließlich endlich das Gesicht seiner Braut sehen. Seine Erkenntnis ist begleitet von einer großen Geste, die pathetischer kaum sein könnte.

»Oh Gott!«, flüsterte er und presste eine Hand aufs Herz. »Großer Gott!«

Ich persönlich finde ja, er hätte der Vollständigkeit halber auch noch auf die Knie sinken können, wenn er schon dermaßen abgeschmackte Auftritte mag, aber gut, vielleicht ist das gerade alles ein bisschen viel für ihn. Immerhin muss er erkennen, dass er kein missratenes Ungeheuer heiraten muss, sondern eine Feenkönigin – da kann einem schon Angst und Bange werden! Zumal ich mir vorstellen könnte, dass Serafina ein Fass aufmacht, sobald sie ihn erkennt! *händereib*

[Unsinn lesen mit Irina] Im Schatten des Windes, Vol. 3

[Früherer Unsinn: Vol. 1 | Vol. 2]

Serafina ist sichtlich verstört von den Ereignissen im Wald und kann das nicht recht verbergen. Die schlaue Tante diagnostiziert unter tatkräftiger Mithilfe von Tinkerby, dass Serafina es mit den Nerven hat, glücklicherweise ist aber rein zufällig Baldrianwurzelextrakt zur Hand, das beruhigend wirken soll. Klappt nur nicht. Serafina denkt nämlich weiterhin schmachtend an den gut gebauten, sehr attraktiven Schurken, den sie für den Meister der Verführung hält und dessen Kuss sie unverzeihlicherweise so sehr genossen hat. Für den Fall, dass wir nicht verstanden haben, was da im Wald vorgefallen und wie unfassbar naiv Serafina ist, dürften wir die vorherige Szene noch mal aus ihrer Sicht erleben und erfahren, dass sie es sehr »nett« fand, dass er ihr »ganz sachlich erklärt hatte, was sie wissen wollte (…) und ohne Ausflüchte all diese Auskünfte erteilt hatte« (S. 56). Nicht so nett findet sie, dass er sie geküsst hat. Nun ja … eigentlich fand sie es schon toll, weil sie noch nie so eine Leidenschaft erlebt hat, nicht mal in ihren Träumen, aber dass der Kuss sie zum Gedanken veranlasst hat, ihre Hochzeit zu canceln, erschreckt sie dann doch ein kleines bisschen. Denn es ist ja wohl glasklar: Sie hat ihren Verlobten betrogen – wenn auch unabsichtlich.

Nachdem wir eine Weile ihren wirren Gedanken und ihrem schamvollen Erschauern beiwohnen durften, ist recht unvermittelt auch schon das Anwesen des Verlobten erreicht. Eine Dosis Baldrian später ist Serafina dann auch schon gerüstet für das Zusammentreffen mit dem gehörnten Aidan – der ist allerdings gerade nicht da, also übernimmt seine Schwester vom Rollstuhl aus die Begrüßung. Bei Serafinas Anblick lässt sie vor Schreck und Entsetzen erst mal ihren Stickrahmen fallen, bevor sie ihrer Verbitterung mit den ermutigenden Worten: »Entschuldigen Sie bitte, dass ich nicht aufstehe, aber ich bin ein Krüppel« Ausdruck verleiht. Die liebe Serafina ist natürlich bestürzt und mitfühlend wie eh und je, doch ihre blitzgescheite Mutmaßung, das müsse ja schlimm für die arme Charlotte sein, wird in keinster Weise gewürdigt. Aidans Schwester offenbart stattdessen bei dieser Gelegenheit gleich mal ihren religiösen Fanatismus und deklamiert: »Und der Herr wird euch in Trübsal Brot und in Ängsten Wasser gehen. Jesaja 30, Vers 20. Bitte vergeuden Sie ihr Mitleid nicht auf das Kreuz, dass der Herr in Seiner Weisheit mir auferlegt hat.« (S. 65) Das kann ja heiter werden, vor allem im Zusammenspiel mit der Tante, die ja bekanntermaßen die keltischen Gottheiten huldigt.

Im Gegensatz zu Aidan ist sein Vater zwar im Haus, aber unpässlich; Serafinas überaus freundliches Angebot, ein Heilmittelchen bereitzustellen, wird rüde abgeschmettert. Das Mädchen nebst Tante werden auf ihre Zimmer verbannt, wo sie gefälligst erst mal bleiben sollen. Da Serafina eine gute Menschenkenntnis hat (ach?!), erkennt sie flugs, dass die Diener völlig fertig aussehen und insofern gut zum schäbigen Interieur des Hauses und dem ungepflegten Garten passen. Die Tante lehnt ein Gespräch über die seltsame Atmosphäre aber ab und will stattdessen nun ihrerseits über die Hochzeitsnacht reden. Da man Serafinas mindestens 3756 vorherige Versuche, etwas in Erfahrung zu bringen, geflissentlich ignoriert hat, drängt jetzt natürlich die Zeit – schließlich ist es ja schon morgen so weit. Das sonst so wissbegierige Nichtchen ist peinlich betreten, denn sie weiß ja nun schon alles – denkt sie. Exzentrik-Elspeth greift aber, obwohl ledig, sehr viel tiefer in die Klamottenkiste als der Schurke im Wald und offenbart ungeahnte Einsichten.

Zunächst muss Serafina erfahren, dass die Vereinigung von Mann und Frau nicht viel anders ist als die von Vieh auf der Weide, »nur etwas kultvierter« (S. 65). Diese Eröffnung führt geradewegs zu einer massiven Schämattacke seitens des Mädchens, denn es erkennt, dass es sich mit dem Schurken im Wald nicht kultivierter als Vieh verhalten hat. Ihren Schock nur mühsam verbergend, harrt Serafina der Details, die die Auskünfte des Fremden ergänzen können. Und sie muss nicht lange warten.

»Du musst wissen, Kind, dass der Körper eines Mannes sozusagen aus dem Schlaf erwacht und aktiv wird, wenn er mit einer Frau zusammen ist. (…) Nun, du musst begreifen, dass der intime Körperteil des Mannes sich verändert, wenn er erregt ist. Dieses Glied wird dann so hart und steif wie eine Fahnenstange.« (S. 65)

Fahnenstange? Von einer Fahnenstange hat der Schurke aber nichts verlautbaren lassen! Serafina ist mal wieder schockiert – diesmal verstehe ich sie aber und kann ihren Einwand durchaus nachvollziehen. »Es muss doch schrecklich sein, von einer Fahnenstange aufgespießt zu werden.« (S. 66) Tantchen hat ganz da ganz offensichtlich weniger Verständnis für ihre unerfahrene Nichte als ich, denn sie lacht sie lauthals und Schenkel klopfend aus und liefert ihr die nächste anschauliche Metapher: »Das geht inetwa so vor sich, wie man einen Korken in eine Flasche schiebt.« (S. 66) Jupp. Das macht die Sache natürlich we-sent-lich besser! Es ist kaum zu fassen, aber ich muss erneut einräumen, dass ich Serafinas Reaktion angemessen finde:

Serafina bedachte sie mit einem misstrauischen Blick. Vielleicht war das nur wieder eines von Elspeths Fantasiegespinsten. Schließlich war sie nie verheiratet gewesen, woher sollte sie also Bescheid wissen? »Nicht jeder Korken passt in jede Flasche«, murmelte sie verstört. (S. 66)

Die kleine Serafina legt manchmal wirklich eine ungeahnte scharfe Beobachtungsgabe und Vernunft an den Tag. Die Tante unternimmt einen neuerlichen Versuch, die Ängste und Bedenken ihrer Nichte zu zerstreuen, die sie erst hervorgerufen hat, und ihr Vorgehen ist erneut sehr erfolgsversprechend:

»Oh, er wird schon passen, obwohl es wahrscheinlich weh tun wird. Aber das liegt nur daran, dass du noch eine Jungfrau bist, und ein einziger kräftiger Stoß beseitigt dieses Hindernis. Es ist eine blutige Prozedur, aber jungfräuliches Blut ist ein heiliges Opfer, und deshalb solltest du es mit Freuden bringen.« (S. 66)

Na dann, viel Spaß in der Hochzeitsnacht, Kleines! Hat eigentlich irgendjemand das Ansinnen der Tante verstanden? Hat das mit Karmaschuld zu tun? Will sie ihre Nichte zu Tode ängstigen oder erreichen, dass Serafina vor lauter Furcht die Ehe absagt? Und was reitet die Autorin, ihren Lesern so nen Unsinn vorzusetzen? Verarbeitet sie da etwa ihre eigenen Erfahrungen?! Oder soll das etwa LUSTIG sein und mir fehlt mal wieder der Humor?! Es bleibt spannend, zumal Serafina, bevor sie ins Bett geht, zusammenfassend mit bewundernswerter Klarsicht einen Ausblick auf die in der Hochzeitsnacht drohenden Vorgänge gibt, damit auch dem letzten Leser die Abscheulichkeit des Akts bewusst wird: »Aidan würde sie mit einem Glied durchbohren, das einer Fahnenstange ähnelte, und dabei würde Blut fließen.« Schlaf gut, Serafina, und süße Träume!

Derweil hockt Aidan mit einem Freund in einer Kneipe und stellt unter Beweis, dass er nicht mehr alle beisammen hat. Er berichtet dem Duke nämlich allen Ernstes von seinem Zusammentreffen mit einer Märchengestalt im Wald, die sich augenscheinlich vom Tau der Butterblumen ernährt. Sein Freund beschuldigt ihn daraufhin – verständlicherweise – des Fantasierens, doch Aidan setzt alles daran, ihn zu überzeugen. Bei der Gelegenheit wird auch noch mal Serafinas außergewöhnliche Schönheit thematisiert, und Aidan darf sich endgültig als weichherziger, romantischer Spinner outen: Er faselt völlig entrückt von Blumenwiesen, schönen Waldnymphen usw. Nur mühsam kann er einen Anfall von Eifersucht auf ihren künftigen Ehemann niederringen, den er ja so sehr um die Feenkönigin beneidet, und geht dann nahtlos dazu über, über die intrigante Hexe zu jammern, die er selbst heiraten muss und die – wie ihm sein Cousin offenbart hat – das hässlichste Kind aller Zeiten war. So langsam langweilt diese Finte mit der Schönheit, nachdem wir Leser jetzt doch wirklich begriffen haben, dass Titafina nicht (mehr) hässlich ist, sondern sich zur Waldnymphe gemausert hat! Da die Hochzeit am morgigen Tag ansteht, dürfte sich das aber ja bald mal aufklären – es sei denn, Serafina trägt einen Schleier, den sie sich zu weigern abnimmt, nachdem sie in Aidan den Schurken aus dem Wald erkannt hat. Will ichs wirklich wissen?!

[Unsinn lesen mit Irina] Im Schatten des Windes, Vol. 2

So, endlich kommt der zweite Teil von »Unsinn lesen«, Teil 1 findet man hier.

Vier Tage später, nachdem Hab und Gut endlich gepackt sind, geht es per Kutsche auf in ein neues Leben. Serafinas Gedanken kreisen nach wie vor unentwegt um die Ereignisse in der Hochzeitsnacht, aber auch um ihr Äußeres. Ihr ist nämlich siedend heiß eingefallen, dass sie mager ist, ihre Augen eine komische Farbe haben, der Nasenrücken viel zu breit, der Mund viel zu groß und ein Vorderzahn schief ist. Voller Sorge befragt sie Tinkerby, dessen Status irgendwo zwischen Dienstbote und väterlicher Freund zu liegen scheint, zum ganzen Ausmaß ihrer Unansehnlichkeit. Tinkerby, die Diplomatie in Person, versichert mehr oder weniger glaubhaft, dass sie zwar ein furchtbar hässliches Kind war, ihr Gesicht inzwischen aber an Reiz gewonnen hat und sie nicht mehr ausgemergelt, sondern nur sehr schlank ist. Er wirkt nur ein klitzekleines bisschen bemüht, nicht zuletzt, weil er im gleichen Atemzug berichtet, schließlich auch seine Frau geliebt zu haben, obwohl sie – seiner Beschreibung nach – ziemlich schauderhaft ausgesehen haben muss. Verständlicherweise ist das der selbstkritischen Serafina keine echte Aufmunterung, ebenso wenig wie die Versicherung, dass sie vielleicht nicht so schön sei wie die Statuen in Kensington Gardens, aber Charakter habe. Charakter! Das dürfte wohl die durchsichtigste Beschönigung aller Zeiten sein! Weil Serafina aber nun mal ein sonniges Gemüt hat, tröstet sie sich mit dem Gedanken, dass ihr Aussehen gar nicht so wichtig sein wird! Aidan liebt sie schließlich, so wie sie ihn liebt – und diese große Liebe kann ihnen niemand nehmen. (Hoffentlich weiß Aidan das auch!)

Die Reise zum Verlobten muss nachmittags unterbrochen werden, weil Tante Elspeth auf ihren täglichen dreistündigen Mittagsschlaf besteht. Serafina unternimmt derweil einen kleinen Waldspaziergang, stillt an einem kleinen plätschernden Bächlein ihren Durst, planscht fröhlich und flicht debil summend einen Kranz aus Waldblumen. So gekrönt, legt sie sich im weichen Moos nieder und schläft ein.

Der wegen der Zwangshochzeit immer noch wütende Aidan begibt sich unterdessen auf einen Ausritt in den Wald, in dem er einst mit Feen redete, von längst vergangenen Zeiten träumte und sich vorstellte, König Artus – notfalls auch Lanzelot oder Gawain – zu sein. Die Vöglein zwitschern, und ein Bächlein plätschert fröhlich … Moooment! Ein Bächlein? Welch Überraschung, es ist das gleiche Bächlein, neben dem sich Serafina zur Ruhe gebettet hat. Folgerichtig stößt Aidan also auf die blumenbekränzte Schlafende, hält sie allerdings für tot. Ist sie aber nicht, sie ist äußerst lebendig und schaut ihn aus hellgrünen, mit langen dunklen Wimpern umrahmten Augen und mit leicht geöffneten rosigen Lippen an. Schlauberger Aidan weiß natürlich augenblicklich, mit wem er es zu tun hat: mit Titania, der Feenkönigin! (Mir fehlen gerade ein paar Smilies, um meinen Gedanken zu diesem Humbug deutlich Ausdruck zu verleihen!) Da er sich, wie wir gerade erfahren haben, schon früher mit Feen unterhalten hat und das für ihn somit nichts Besonderes ist, fordert er zu wissen, wieso sie sich ohne Anstandsdame, die sie vor Schurken wie ihm beschützen müsste, im Wald herumtreibt.

Tita-fina ist augenblicklich fasziniert. Voller Begeisterung platzt sie damit heraus, dass sie schon immer wissen wollte, wie ein Schurke aussieht und dass der schöne Fremde einen wunderbaren Schurken abgibt, auch wenn sie keine Angst vor ihm hat. Wenig verwunderlich hat Aidan daraufhin ziemlich schurkische Gedanken, die mit Schwanenhälsen und Rosenlippen zu tun haben, doch Serafina nimmt ihm direkt die Butter vom Brot, indem sie ihm verkündet, dass er überhaupt kein Interesse haben könnte, sie zu verführen, weil er sie ja nicht liebe. Nicht ganz zu Unrecht stellt Aidan fest, dass das Rosenlippenmädchen ein ziemliches Unschuldslamm ist, wenn sie glaubt, dass es für Verführung Liebe bräuchte, doch die personifizierte Altklugheit lässt sich nicht beirren, schließlich heißt es ja auch Liebesspiele. Durchschlagendes Argument, ohne Frage! Und wo die Gute gerade schon dabei ist und die Tante ihren Fragen immer ausweicht, kommt ihr die grandiose Idee, sich von diesem welterfahrenen Schurken aufklären zu lassen. Klar, warum auch nicht. Mich wundert gar nix mehr.

Aidan offenbar auch nicht. Er befindet sich irgendwo zwischen Belustigung und verzehrendem Begehren und ist selbstverständlich gerne bereit, seiner Titania zu erklären, wie die Sache vor sich geht: »Der Mann schiebt jenen Körperteil, der ihn zum Mann macht, in jenen Körperteil der Frau, der sie zur Frau macht« (S. 50). Ah ja. Sehr hilfreich, da kann man sich doch mal wirklich was drunter vorstellen, vor allem wenn man von nichts ne Ahnung hat, so wie Serafina. Erstaunlicherweise verzichtet der Aufklärer auf eine Demonstration zur Veranschaulichung seiner so anschaulichen Erklärungen, er ist also wohl doch nicht ganz so schurkisch wie er zu sein behauptet, obwohl er selbst sich in diesem Augenblick wahnsinnig ruchlos vorkommt. Nachdem auch Serafinas Frage geklärt ist, ob Mann und Frau sich zur Durchführung des Sexualakts ausziehen, warnt der gewissenhafte Aidan sie noch vor ungewollten Schwangerschaften, während er erneut von ihrer Schönheit überwältigt ist.

Spätestens jetzt dämmert es auch der unaufmerksamsten Leserin: Irgendwas stimmt hier nicht. Schönheit? Serafina? War vorhin nicht immer wieder die Rede von ihrer Verschrobenheit, Hässlichkeit? Ist Aidan mit Blindheit geschlagen? Ist Serafina vielleicht wirklich eine Fee, die Aidan verzaubert hat? Oder wurde Serafinas vermeintliche Unattraktivität etwa die ganze Zeit über extra so betont wurde, um uns – welch grandioser Kniff – auf die falsche Fährte zu führen?! Wir wissen es nicht, werden es aber sicher irgendwann erfahren, wenn Aidan mal weniger melodramatisch ist als in diesem Moment, wo er unheilvoll verkündet, ihm werde am folgenden Tag die Schlinge um den Hals gelegt.

Klar, dass die weichherzige Serafina keinen Sinn für seine Metaphern hat und fast in Tränen ausbricht, weil sie glaubt, er werde gehängt. Passt ja irgendwie auch, schließlich ist er ein Schurke. Aidan, gerührt von ihrer Sorge, platzt daraufhin mit der Geschichte über seine arrangierte Ehe heraus, die sich ihm aber gänzlich anders darstellt als ihr. Dabei versäumt er natürlich auch nicht, sie als Hexe zu bezeichnen, die die Situation ausnutzt und die er immer verabscheuen wird bis zu ihrem – hoffentlich frühen Tod. Die herzensgute Serafina ist natürlich ganz schön entsetzt über so eine Einstellung und hält ihm, lebenserfahren wie sie nun mal ist, einen Vortrag über die wahre Liebe. Aidan, der Pragmatiker, bewundert derweil ihre Wangen, »deren Farbton an die Innenseite karibischer Muscheln« erinnern, schwarzmalt vor sich hin und küsst seine Titiania schließlich zum Abschied, wahrscheinlich, um ihr noch mal in Erinnerung zu rufen, wie schurkisch er ist und wie gefährlich Spaziergänge im Wald ohne Anstandsdame sind. Mit dieser ereignisreichen Szene ist ja schon mal ein guter Grundstein fürs spätere Zusammentreffen der beiden gelegt – ich freu mich schon sehr drauf!

[Unsinn lesen mit Irina] Im Schatten des Windes, Vol. 1

Wie gewünscht starte ich hiermit die Rubrik »Unsinn lesen mit Irina«. Manche Bücher verdienen es einfach nicht besser – und »Im Schatten des Windes« von Katherine Kingsley gehört eindeutig dazu.

Der 6. Februar 1808 ist ein schicksalhafter Tag für die magere kleine Serafina. Das erschreckend hässliche Kind wird von ihrem dahinsiechenden Vater schnell noch Aidan Delaware, Earl of Aubrey, dem Sohn eines Freundes versprochen, bevor er das Zeitliche segnet. Da die Ehe aber erst am 18. Geburtstag des Mädchens geschlossen werden kann, übergibt er es bis dahin einigermaßen widerwillig der Obhut der seltsamen Tante aus Wales.

11 Jahre später, am 12. Januar 1819, scheint Serafina dem schlechten Einfluss ihrer bekloppten Tante vollkommen erlegen zu sein. Sie steht auf einem Felsen rum, singt (natürlich mit glockenheller Stimme) und betet, dass Aidan, dem sie damals versprochen wurde, sie endlich holt, um sie »auf den Flügeln der Liebe davonzutragen«. Dass sie und Aidan über Zeit und Raum hinweg zusammengehören, daran hat sie keinen Zweifel, schließlich träumt sie schon seit ihrem vierzehnten Lebensjahr immer wieder davon, wie sie triumphal in eine Stadt einreitet und von ihm in Empfang genommen wird. Zwar heißen die beiden nicht Aidan und Serafina, sondern Adam und Sarah, aber mit solchen Kinkerlitzchen hält sie sich nicht auf, zumal es wichtigere Dinge in diesem Traum gibt, die es zu hinterfragen gilt. Adam/Aidan küsst sie nämlich, bis ihr fast die Sinne schwinden und eröffnet ihr, seinen Schwur bald »im Fleische zu besiegeln«. Unser Herzchen wacht leider immer auf, bevor sie herausfindet, wie man einen Schwur im Fleische besiegelt, reimt sich aber blitzgescheit zusammen, dass es sich a) bei diesem Vorgang möglicherweise um etwas handelt, was ihr gefallen könnte, und dass sie b) die verklemmte Tante besser nicht danach fragt.

So richtig in Schwung kommt die Handlung etwa vier Monate später, um genau zu sein: am 26. April (wie wir wissen, weil uns die Autorin dankenswerterweise stets mit exakten Datumsangaben versorgt). Aidan erfährt nämlich just an diesem Tag, dass er so gut wie verheiratet ist – und zwar bereits seit dem 6.02.1808. Sein Vater hatte das Eheversprechen zwischenzeitlich ganz vergessen, jetzt ist es dem praktisch veranlagten Mann aber doch wieder eingefallen, weil die Familie nämlich bankrott ist und Serafina ein riesiges Vermögen besitzt, das am Tag der Trauung in Aidans Besitz übergehen wird. Der arme Aidan steht erst mal unter schwerem Schock und dreht seinem Vater unverständlicherweise nicht den Hals um. Möglicherweise ist er einfach zu entsetzt, um zu handeln, weil er nämlich zu allem Übel erfahren muss, dass seine Zukünftige farblos ist, vorstehende Augen, schlechte Zähne und einen knochigen Körper hat, und nicht nur hässlich ist, sondern auch noch ein wenig einnehmendes Wesen hat: »Sie ist grämlich, und sie horcht gern an Schlüssellöchern.« Wie gesagt ist Vater Delaware aber durchaus praktisch veranlagt, deshalb hat er zum Trost für seinen Sohn ein geniales Rezept fürs Zusammenleben mit der hässlichen Erbin: »Du brauchst sie ja nicht oft anzuschauen, mein Junge. Ich bin sicher, dass du sie im Ostflügel oder sonstwo unterbringen kannst.« So hervorragend beraten, fügt Aidan sich schließlich in sein Schicksal.

Am 30. April, zurück in Wales, erfahren wir erst mal mehr über Seraphinas Tante Elspeth, die sich als eine Art Hexe herausstellt. Sie begeistert sich für alte keltische Bräuche und Überlieferungen, ihre Zauberversuche verlaufen aber eher weniger erfolgreich. Das hält sie natürlich nicht davon ab, es weiter zu versuchen, denn Versuch macht ja kluch. Vor lauter Zaubern vergisst die Exzentrikerin blöderweise manchmal die eine oder andere unwichtige Angelegenheit – etwa, dass Aidan geschrieben hat, um die Hochzeit in Gange zu bringen. Ist ja auch nicht weiter wichtig oder gar dringend, und die Hauptsache ist, dass es ihr irgendwann in einem lichten Moment wieder in den Sinn schießt. Als sie Serafina also in einem Augenblick der Klarheit mitteilt, dass der Traumprinz endlich bereit zur Hochzeit ist, ist die außer sich vor Begeisterung und kommt in ihrem Überschwang gleich auf die elementarste Sache zu sprechen, die mit ihrer anstehenden Ehe verbunden ist: die Hochzeitsnacht. Obwohl sie schlau genug ist, die Schwur-im-Fleische-Sache aus dem Spiel zu lassen, verweigert die verklemmte Tante unglücklicherweise die Auskunft. Das veranlasst die wissbegierige Serafina, wilde Spekulationen anzustellen, die uns Lesern nach all dem vorherigen Unsinn einen ersten Höhepunkt bescheren:

Würde sie denn nie erfahren, was nach dem Küssen passierte? Es musste etwas Wundervolles sein, dessen war sie sich sicher, aber über den genauen Ablauf war sie sich nicht im Klaren. Sie wusste, dass der Mann seinen Samen irgendwie in die Frau brachte, und dass daraus ein Baby entstand. Doch wie der Mann das machte, war ihr ein Rätsel und weckte ihre Neugier. Sie stellte sich Aiden mit einer kleinen Pipette vor, wie Tante Elspeth sie bei Kranken verwendete, aber es kam ihr unwahrscheinlich und wenig romantisch vor, dass ihr Mann sie auffordern würde, den Mund zu öffnen und etwas zu schlucken (sic!). Was im Bett ablief, musste viel ungewöhnlicher sein, sonst würde man nicht so ein Geheimnis daraus machen. Es musste wohl irgend etwas mit der Tatsache zu tun haben, dass die beiden Geschlechter verschiedene Körper hatten, und sie mussten sich dabei wohl irgendwie berühren, jedenfalls hoffte Serafina das, denn in ihrem Traum hatte sie sich in den Armen des geliebten Mannes unglaublich glücklich gefühlt. (S. 32)

Während man sich noch staunend fragt, ob die Autorin sich für den Oswald Kolle der 90er-Jahre hält und mit diesen ebenso hochinteressanten wie fantasiereichen Ausführungen ihren Beitrag zur Aufklärung ihrer Leser leisten will, tritt auch schon wieder Elspeth in Aktion. Unter der strengen Aufsicht ihres Papageis Basil, der sie nicht ganz zu Unrecht als heimtückisch bezeichnet, wirft sie einen Blick in ihre Kristallkugel – und sieht dort sogar wider Erwarten etwas: einen ziemlich verärgerten Aidan, der die Schuldenscheine seines Vaters in Augenschein nimmt. Das ist an sich nichts Neues, bildet aber einen guten Aufhänger, um noch mal auf Serafinas herausragende Qualitäten als Braut hinzuweisen: Sie hat ein riesiges Vermögen, glaubt an die alten Götter und hat von den dunklen Seiten des Lebens keine Ahnung. Zugleich erfährt der aufmerksame Leser, dass hier noch etwas anderes, viel tiefgreifenderes im Gange ist: Es gilt für Aidan und Serafine nämlich ganz offensichtlich, ein Schicksal zu erfüllen und eine fast tausend Jahre alte Karmaschuld zu begleichen. Ja, genau, Karmaschuld! Kar-ma-schuld! Mit dieser höchst subtilen Bemerkung, die einem da in einem Nebensätzen ganz beiläufig um die Ohren gehauen wird, wird man auch schon ins nächste Kapitel entlassen. Gott sei Dank – war ja wirklich genug für den Anfang!