Wie das Leben doch spielt! Da taucht quasi aus dem Nichts ein 17-jähriges Mädel aus dem Schwarzwald auf, dem das Talent offenbar vom Vater, seines Zeichens Autor und renommierter Dramaturg, in die Wiege gelegt wurde. Mit »Axolotl Roadkill« liefert Helene Hegemann nämlich einen Debütroman, der die gestandene Kritikerzunft mehr oder weniger unisono zu überschwänglichen Lobpreisungen veranlasst. Ein neues Literaturwunderkind ist geboren, es lebe hoch!
Blöderweise ziehen noch vor der großen Premiere des Buchs auf einmal dunkle Wolken am strahlend blauen Himmel auf, tritt doch so ein dahergelaufener Popkulturblogger namens Deef Pirmasens auf den Plan und deckt auf, dass das Wunderkind aus Airens Buch »Strobo« abgekupfert hat. Mit derartigen Plagiatsvorwürfen müssen sich allerdings viele erfolgreiche Schriftsteller herumschlagen, und die Kläger stehen nicht selten im Verdacht, nur vom Erfolg anderer partizipieren zu wollen. Das Rad kann nun mal nicht neu erfunden werden, denn (fast) alles war in irgendeiner Form schon mal da; im Prinzip bedient sich jeder irgendwie beim anderen und lässt sich inspirieren von Ideen, Szenen, Dialogen, einer besonders gelungenen Formulierung oder Metapher. Die eigentliche Kunst besteht darin, diese Inspiration umzuwandeln und mit eigenen Ideen zu bereichern, sodass etwas Neues entsteht.
Das Vorgehen von Hegemann geht weit über eine inhaltliche Inspiration hinaus, wie Deef Pirmasens an diversen Beispielen auf seinem Blog zeigt: Sie hat ganze Absätze fast wörtlich übernommen sowie einen Liedtext schlicht vom Englischen ins Deutsche übersetzt (für diese Passage wurde sie von den Kritikern besonders gehuldigt – vielleicht kann sie sich notfalls als Übersetzerin durchschlagen, falls es mit der Karriere als Autorin nicht klappen sollte). Offen ist noch, ob Airens »Strobo« das einzige Buch ist, das ihr als »Wegweiser« diente. Selbst der Ullstein Verlag scheint Zweifel zu haben, denn er weist in seiner Pressemitteilung auf die inzwischen gängige »Sharing Praxis« der heutigen Zeit hin und fordert vorsichtshalber schon mal weitere nicht genannte Rechteinhaber auf, sich zu melden, um nachträglich die Rechte zu klären – und zu vergüten.
Wie überall im Leben gilt auch im Fall Helene Hegemann das Motto »Man darf alles – außer sich dabei erwischen lassen«; dummerweise wurde der gefeierte Jungstar aber erwischt. Inzwischen wird überall von den Plagiatsvorwürfen berichtet, mit offener Kritik hält man sich in vielen Fällen erstaunlich bedeckt. Der Stern befindet, dass die Abgrenzung »zwischen Ideenklau und gegenseitiger geistiger Befruchtung« schwierig geworden sei, und Andreas Kilb konstatiert in der FAZ, dass Airen die Gattung ja nun auch nicht neu erfunden habe und Hegemanns abgekupfertes Buch weit besser sei als Airens Original – als würde das ein solches Vorgehen rechtfertigen! Dafür wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Verlag seine Sorgfaltspflicht verletzt habe: Das Mädel sei ja noch so jung und unbedarft, man hätte sie verlagsseitig einfach besser und eindringlicher auf die Urheberrechtsproblematik hinweisen müssen. Und überhaupt hätte irgendjemand vor Deef Pirmasens merken müssen, dass Fräulein Hegemann abkupfert. Offenbar ist man der Ansicht, dass Autoren heutzutage in den meisten Fällen nachweislich bei irgendjemandem abschreiben und dass Verleger und Lektoren sich neben ihrer eigentlichen Arbeit auch noch als Detektive, Aufklärer und Vermittler von moralischen Grundsätzen verdingen sollen?! Hätte Hegemann aus einem Werk von Weltrang abgeschrieben, ohne dass es bemerkt wurde, wäre der Vorwurf gerechtfertigt, aber als solches kann man »Strobo« wohl kaum bezeichnen – Airen möge mir verzeihen.
Der eigentliche Skandal an der ganzen Plagiatsgeschichte ist für meine Begriffe die Reaktion der Autorin selbst und damit verbunden die Tatsache, dass der Verlag diesen Unsinn auch noch verbreitet. Hegemann entschuldigt sich nämlich zwar notgedrungen dafür, den »legitimen Anspruch der Leute nicht berücksichtigt« zu haben, deren Texte ihr »geholfen« haben, erweist sich aber bezüglich ihrer Arbeitsweise als erstaunlich kritikresistent und einigermaßen bockig. Sie bezeichnet ihr Verhalten und Vorgehen als »total legitim« und rechtfertigt ihre Copy-and-Paste-Arbeitsweise damit, aus einem Bereich zu kommen, »in dem man auch an das Schreiben von einem Roman eher regiemäßig drangeht, sich also überall bedient, wo man Inspiration findet. Originalität gibt’s sowieso nicht, nur Echtheit.« Sie sei selbst »nur Untermieter in meinem eigenen Kopf« und fordert eine »Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation.«
Manch einer mag diese Aussagen für ehrlich und zeitgemäß halten und als Anstoß für eine neue Urheberrechtsdebatte nehmen. Ich persönlich finde, dass allein für Hegemanns Statement das Buch eingestampft und das Wunderkind in den Tiefen des Schwarzwalds ausgesetzt gehört, denn sie versteht offenbar überhaupt nicht, worum es bei der Debatte eigentlich geht. Vielleicht sollte sie ihren Kopf besser an jemand anderen untervermieten; mit den Einnahmen ließe sich vielleicht Airens Schadensersatz finanzieren!
Weiterführende Links:
– Stellungnahme von Verlag und Autorin, abgedruckt im Börsenblatt
– Interview mit Airen in der FAZ
– Blogartikel »Alles nur geklaut?« von Deef Pirmasens auf www.gefuehlskonserve.de
– Interview mit Deef Pirmasens in der Süddeutschen
– Blog von Airen
– Presseerklärung der SuKuLTur Verlags
– Interview mit Frank Maleu (Verleger von Airens »Strobo«) im Stern
– Kommentar zum Plagiatsvorwurf von Wolfgang Schneider im Börsenblatt
– Artikel über die Lobpreisungen des Buchs bei BR alpha
– Rezension in der FAZ
Habe das gestern im Radio gehört! Und war gleich an meine Schüler erinnert, die permanent der Meinung sind, es würde reichen, für ein Refererat mal eben was bei WIKIPEDIA auszudrucken und vorzulesen. Und wer weiß, was ich alles noch nicht mitbekomme, was woanders geklaut ist.
Das Internet ist eben heute ein reichhaltiger Fundus. Und die Gerneration die jetzt damit groß geworden ist, bedient sich eben daraus, ohne zu verstehen, dass man sich für bestimmte Dinge auch noch selbst anstrengen muss.
Übrigens danke für die vielen tollen Links zum Thema!
Liebe Irina!
Ich gebe dir vollkommen Recht, was das Statement von Hegemann betrifft, so hatte ich ähnliche Gedanken. Alleine ihre Sprache sagt ja schon alles. Wie (dumm) unbedarft muss eine denn sein?
Wenn Sie tatsächlich Schriftstellerin sein/werden will, dann wird sie in Zukunft wohl kaum mehr einer ernst nehmen, nach solch dreistem Vorgehen…und keinerlei Verständnis für Unrecht.
Ich beschäftige mich auch seit gestern mit dem Fall, als das Börsenblatt es mir öffentlich gemacht hat. Die Originalquellen, die alles aufgedeckt haben, musste ich auch lesen. Warum? Weil ich das Statement unserer kleinen Diebin gelesen habe und total entsetzt war. Ok, sie ist 17, aber auch in diesem Alter weiß man, was Recht und Unrecht ist. Abzuschreiben ist schlichtweg dumm-dreist. Übrigens völlig unabhängig davon, ob der Bestohlene total berühmt ist oder nicht.
Leider ist auch schlechte Werbung – Werbung. Und sie wird aus den unterschiedlichsten Gründen damit durchkommen (Alter, sozialer Background etc.). Ich für meinen teil würde einen Teufel tun und im Nachhinein die Erlaubnis erteilen.
Was ich – das aber nur am Rande – ebenfalls total bescheuert fidne ist die neue Mode, noch nicht Volljährige vom Drogen konsumieren oder wild in der Gegend rummfi… reden und schreiben zu lassen und das dann auch noch Kultur zu nennen. Aber ich glaube, so was gabs in jeder Genereation … erfinden wir uns eben wieder mal selbst.
Verlag und Lektoren tun mir eher leid. Andererseits hätten sie die Göre auch richtig aufklären können, was sie mit ihrer Frage meinen. Das gehört wohl dazu.
*pf* Nervt mich, das Thema. Vor allem die Reaktionen darauf, es ist nämlich
-nicht- ok.
Diese ganze oberkluge Phrasendrescherei finde ich eh mehr als fragwürdig und warum solche Bücher immer einen Riesen-Hype auslösen, ist mir auch ein Rätsel, aber ok.
Ich finde die Reaktion des Mädchens (ich mag sie nicht als Autorin bezeichnen) schon sehr dreist, wenn man sich schon bedient, soll man es wenigstens kenntlich machen, wenn nicht vorher fragen. Ich glaube aber auch, dass das in ihrer Generation durchaus üblich so ist. Andererseits muss man sich nur mal in der deutschen Fernsehlandschaft umschauen, da werden doch auch vorzugsweise amerikanische Formate verwurstet und als Eigenleistung verkauft.
ich finds auch ganz schön dreist, was sich das mädchen da geleistet hat.
@soleil: ich denke sie wusste schon, was der verlag mit dieser frage meinte, ich kann mir gut vorstellen, dass sie es für sich behalten hat, eben weil strobo ja doch sehr unbekannt ist. vielleicht dachte sie, es fällt nicht auf?
@miss temple: ich denke wenn die deutschen tv-sender eine serie aus amerika abkupfern dann haben sie entweder die rechte dazu oder sie sind nicht so dumm alles wrtwörtlich zu übernehmen
@JED: Deswegen lese ich Wikipedia immer vor dem Referat (; Ich finde es ja okay, wenn meine Schüler sich ihre Infos im Internet sucht. Das war in meiner Schulzeit schon Gang und Gebe, weil der Zugang vor allem auf dem Land zu sinnvoller Literatur ein wesentlich schwierigerer war. Umso wichtige finde ich es aber, anzusprechen, welche Internetseiten für sowas geeignet sind und welche nicht. Und abschreiben von Wikipedia gibt einfach mal kein gutes Referat und mit der Note müssen sie dann leben… Ist ja nicht so, als würde ich nicht merken, wenn meine Schüler plötzlich ganz anders reden als sonst *g* Bin ja nicht blöde.
@Miss_Temple Ich muss bei solchen Teenies ja immer an die Megarebellen denken, die so ganz anders sind als der Rest der Welt und mit ihrer ganzen Abgewracktheit so richtig cool sind. Die Drogen und den Alkohol können sie sich ja leisten, schließlich behaupten sie von sich selbst, einen so hohen IQ zu haben, dass sie den Verlust mehrerer tausend Gehirnzellen locker wegstecken können. Die kotzen ihre geistigen Ergüsse dann regelrecht hin und werden noch gekopftätschelt für sowas. Auf der einen Seite heißt es, man muss was gegen die „verkommene Jugend“ tun, aber in der Literaturwelt wird sie mit offenen Armen empfangen? Aber früher waren ja viele Autoren irre und das hat auch keinen gestört … *hust* Hölderlin *hust* Ich finds unklug vom Verlag, weiter hinter dem Buch zu stehen… Wenn jemand so offensichtlich klaut, hat er meine Rückendeckung nicht verdient.
@Maria: In dem Fall meinte ich jetzt vor allem so Sendungen wie Galileo die ständig Beiträge bringen, in denen sie mehr oder weniger das nachstellen, was man bei z.B. bei Mythbusters schon mal gesehen hat. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass da für jeden 2 Minuten Beitrag gefragt wird. ;) An Zufall mag ich in der Häufigkeit auch nicht mehr glauben.
@holly: Ja das ist schon verrückt. Dieselben Leute, die hier ein Wunderkind stilisieren, wären auf der anderen Seite völlig schockiert und entrüstet, wenn sie dasselbe Mädchen in einer Doku-Soap sehen würden. Da fehlt halt der „kulturell anspruchsvolle“ Rahmen und wenn er nur geklaut ist. ;)
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Verlag hofft jetzt, wo das Kind eh schon in den Brunnen gefallen ist, wenigstens noch ein bisschen was damit zu verdienen, nach dem Motto „jede Werbung ist gute Werbung“.
Interessanterweise wird dem Verlag auf der Seite Literaturcafé vorgeworfen, dass er »nicht vor sie [Hegemann] stellt und Verantwortung für eine Minderjährige übernimmt«. Diese Sichtweise kann ich ehrlich gesagt überhaupt nicht teilen, denn Ullstein ist von der Autorin nicht wahrheitsgemäß informiert worden, als sie versicherte, keine weiteren Quellen als die angegebenen verwendet zu haben. Darüber hinaus ist der Artikel aber durchaus lesenswert, sieht man davon ab, dass der Autor den Namen des Strobo-Verfassers nicht richtig schreibt.
Ich finde es faszinierend, dass beim „Wiederverwerten“ von Texten so ein fehlendes Unrechtsbewußtsein vorhanden ist. Hätte das Mädel etwas greifbares geklaut, dann würde jeder empört sein. Aber wenn es um Ideen geht, dann wird doch erstaunlich milde damit umgegangen …
Aber verwundern sollte es einen eigentlich nicht mehr, schließlich leben wir in einer Welt, in der ein Outdoor-Klamotten-Hersteller jeden verklagt, der auch nur annähernd eine Pfotenform als Logo verwendet, während die Mehrheit nicht einsieht, dass man für Filme und Musik noch Geld bezahlen soll.
Diese ganze Diskussion ist völlig an mir vorbeigegangen, bis ich Irinas Beitrag gelesen habe! Ich finde, an dieser Geschichte ist einfach alles krank und fürchterlich, angefangen bei den Büchern um die es geht – aber ok, das ist ja Geschmackssache. Und Axolotl Roadkill ist immerhin ein interessanter Titel, ich hätte eigentlich gedacht, daß das vielleicht eine Parodie auf den Hauptmann von Köpenick ist (da gab’s doch diese Schuhfabrik namens Axolotl?)
Jedenfalls ist es schon sehr befremdlich, wenn eine 17jährige wie eine Heldin gefeiert wird, weil sie ein Buch über Drogenkonsum und deprimierenden Sex mit zufällig ausgewählten Partnern schreibt.
Noch befremdlicher ist aber die Reaktion der Autorin auf die Plagiatsvorwürfe. Ein lässiges Schulterzucken und ein „na ja, jeder wird doch irgendwie von anderen beeinflußt“? Was bitte soll das? Sie ist für ein Werk – was immer man davon auch halten mag – gelobt und nicht zuletzt sicherlich auch bezahlt worden, das sie gar nicht selbst geschaffen hat! Im Prinzip ist das doch dasselbe, als hätte sie Die Leiden des jungen Werther abgeschrieben und sich dafür als kulturelle Retterin des Abendlandes feiern lassen, in der Hoffnung, daß sich an das Original kein Mensch mehr erinnert. Die junge Frau sollte sich lieber nach einem anderen Beruf umsehen. Worum es bei der Schriftstellerei geht, hat sie offenbar nicht verstanden.
Danke für diesen tollen und sehr informativen Beitrag!
Mich macht das ganze richtig sprachlos. Und vorallem, wie kann man sich mit 17 Jahren, kurz vor der Volljährigkeit so benehmen?! Selbst der heutige Auftritt bei Harald Schmidt hat ihr Auftreten nicht verbessert, wie ich finde. *augenroll*
Und so jemand wird für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert?? Ich glaube, wir leben offenbar in einer sehr verkehrten Welt… *kopfschüttel*
Anscheinend ist das Buch trotz erfolgreichem Abkupfern grottenschlecht. Bei Amazon hagelt es ja nur so von miesen Bewertungen.
Über den Titel einer Rezension „Axolotl Readerkill“ musste ich sehr schmunzeln. ^^
Und dennoch steht es auf Platz 5 der stündlich aktualisierten Beststeller. Soll mal einer die Leute verstehen, die das Buch jetzt noch kaufen… Oo
Dreist. Peinlich. Andere Umschreibungen fallen mir zu Helene Hegemann und ihrem niveaulosen Verhalten nicht ein. Und dabei geht es nicht nur um ihr Plagiat, sondern vor allem um ihre Reaktion auf die Plagiats-Vorwürfe. Einfach nur dreist.
Ich fürchte, gerade jetzt wird das Buch gekauft. Wie Soleil sagt, auch schlechte Werbung ist Werbung.
Katha: Danke für den Hinweis auf Hegemanns Auftritt in der Harald-Schmidt-Show, das war völlig an mir vorübergegangen. Werd ich mir gleich mal in der ARD-Mediathek anschauen, falls noch jemand will, hier ist der Link: KLICK (Interview bei ca. 31:20).
Das Buch ist jetzt übrigens TROTZ ALLEM für den Nachwuchspreis der Leipziger Buchmesse nominiert worden. Dazu fällt mir echt nix mehr ein!
Ich habe gerade gesehen, daß die Geschichte jetzt sogar bis nach Amerika vorgedrungen ist: http://www.salon.com/books/laura_miller/2010/02/16/hegemann/index.html.
Ich finde es übrigens bedenklich, daß die junge Frau als Belohnung jetzt auch noch reich, berühmt und evtl. preisgekrönt wird.
Susi: Immerhin wissen dank Helene Hegemanns Arbeitsweise jetzt restlos alle, was »Intertextualität« bedeutet! *augenroll*