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[Rezension] Kerstin Gier: In Wahrheit wird viel mehr gelogen

Klappentext:
Carolin spielt virtuos Mandoline, spricht sechs Fremdsprachen und kann im Kopf die Wurzel aus siebenhundertvierundachtzig ausrechnen. Aber als sie sich mit ihrem Exfreund um ein riesiges Erbe streiten muss, ist sie komplett überfordert. Verständlicherweise. Denn sie ist noch keine dreißig und gerade Witwe geworden. Und das wirft wohl jedes noch so große Wunderkind aus der Bahn. Zum Glück ist Carolin in ihren schwärzesten Stunden nicht allein, und eine illustre Gesellschaft steht ihr bei, unter anderem die schlechteste Therapeutin der Welt, ein Apotheker – und ein ausgestopfter Foxterrier mit Namen „Nummer zweihundertdreiundvierzig“ …

Kommentar:
Endlich hab ichs geschafft, mal einen »erwachsenen« Gier-Roman zu lesen – der irgendwie ganz anders war als angenommen. Ich hatte nämlich nicht wirklich erwartet, ein Buch mit so ernstem Hintergrund zu erwischen.

Die 26-Jährige Carolin ist am Boden zerstört, weil ihr Mann Karl vor sechs Wochen überraschend an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ebenso überraschend hat er ihr ein Vermögen hinterlassen – und um dieses muss sie sich jetzt mit seiner habgierigen Verwandtschaft streiten. Dazu fühlt sie sich nicht wirklich in der Lage, doch mit Hilfe ihrer Familie und eines neuen Freundes stellt sie sich schließlich der aktuellen Situation und ihrer Zukunft.

Die Geschichte hat zunächst zwei Handlungsstränge: In einem wird die Zeit nach Karls Tod beschrieben, in einem zweiten ihr Kennenlernen sowie das Leben mit ihrem Mann. Carolin und Karl haben sich auf den ersten Blick ineinander verliebt, und sie waren offenbar sehr glücklich miteinander; allerdings wirft es ein ziemlich seltsames Licht auf die Beziehung, dass die beiden in einfachsten Verhältnissen gelebt haben, obwohl Karl ein riesiges Vermögen besessen hat. Warum Karl seiner Frau nichts davon gesagt hat und sich stattdessen – zumindest phasenweise – von den Eltern seiner Frau hat finanziell unterstützen lassen, wird nicht mal ansatzweise geklärt. Möglicherweise sind solche Überraschungen nach einem unerwarteten Todesfall gar nicht so unrealistisch; für den Leser ist es dennoch ziemlich unbefriedigend. Carolin selbst scheint das Thema weitgehend zu verdrängen, ihre Schwester allerdings ist ziemlich sauer deswegen und nennt Karl nur den »Geizkragen«. Auch Carls Eltern sind irritiert, die hinterlassene Erbschaft versöhnt sie allerdings mit ihrem verstorbenen Schwiegersohn.

Diese Erbschaft ist Bestandteil der Handlung in der Gegenwart, denn auch wenn Carolin verständlicherweise absolut keinen Nerv hat, sich mit Erbschaftsangelegenheiten auseinanderzusetzen, sitzt ihr doch Karls Familie im Nacken und will zumindest einen Pflichtteil von der Alleinerbin einklagen. Dass Karls Sohn Leo Carolins Ex-Freund ist, vereinfacht die Sache nicht gerade; allerdings verhält sich Leo alles in allem vernünftiger als erwartet. Deutlich anstrengender – und habgieriger! – ist Karls Bruder Thommi, dem Carolin und Leo am Ende gemeinschaftlich eins auswischen. Dafür, dass die ganze Erbschaftsgeschichte im Klappentext so hochgehängt wird und Carolin gedanklich so sehr beschäftigt, verläuft sie alles in allem eigentlich ziemlich unspektakulär und friedlich; wirklich böse Erbschaftsstreitigkeiten sehen definitiv anders aus. Und auch wenn ich finde, dass man das Thema nicht wirklich bis zum Exzess ausreizen muss, hätte man doch ein bisschen mehr rausholen können.

Ansonsten geht es vor allem darum, Wunderkind Carolin nach dem Tod ihres Mannes wieder auf die Beine zu bringen und sie dazu zu bewegen, sich ihrer Zukunft zu stellen. Die Familie, vor allem ihre Schwester und ihr Schwager, kümmern sich sehr liebe- und aufopferungsvoll um die junge, leicht depressive Witwe. Sie schicken sie darüber hinaus zu einer Therapeutin, die zwar vollkommen unfähig scheint, aber Carolin trotzdem irgendwie hilft. Außerdem findet Carolin erstmals in ihrem Leben einen wahren Freund, mit dem sie Freud und Leid teilen kann. Am Ende hat man den Eindruck, dass Carolin so langsam in der Lage ist, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und vorwärts zu blicken; dass sie aber noch einen langen Weg vor sich hat, ist auch klar. Das macht auch Sinn, irgendwie befriedigt es einen aber trotzdem nur bedingt.

Und das gilt fürs ganze Buch. Dem Roman fehlt es an Spannung – nach einem starken Anfang plätschert es eher vor sich hin, ohne dass viel passieren würde. Carolins Trauer und die verschiedenen Phasen der Trauer sind ganz gut dargestellt, aber eben doch zu oberflächlich, um dem Buch die nötige Faszination zu verleihen. Überhaupt blieb mir Carolin fremd und ihr Verhalten war für mich über weite Strecken – auch schon vor Karls Tod – nicht nachvollziehbar. Ebenso fand ich ihre Beziehung letztendlich ein wenig undurchsichtig und ich habe mich gefragt, ob Carolin für Karl nicht eher eine Art Heldenverehrung als Liebe empfindet. Würde Kerstin Gier nicht so wunderbar locker-flockig schreiben und hätte sie nicht einen so guten Humor, hätte ich das Buch wohl deutlich schlechter bewertet.

Fazit:
9/15 – Ein Buch, das trotz des ernsten Themas im Wesentlichen vom Humor lebt.

4 Kommentare zu [Rezension] Kerstin Gier: In Wahrheit wird viel mehr gelogen

  • Ich ärger mich gerade ein wenig darüber, dass ich das Buch nicht auf meiner Leseliste habe. Die Bücher von Frau Gier lassen sich eigentlich recht gut weglesen. Obwohl es ja mit „In Wahrheit wird…“ auch mein erster Erwachsenenroman von ihr wäre…. *seufz*

    Hast du eigentlich „Eleven Scandals“ schon durch? Hab den Tag gesehen, dass du ihn bereits angefangen hast.

    Ganz viele liebe Grüße :)

  • Auf deiner 7-Tage-7-Bücher-Leseliste? Da hätte es gut hingepasst, denn es lässt sich wirklich gut weglesen und ist auch nicht sehr dick!

    Ich hab »Eleven Scandals« noch nicht durch. Ich hoffe, ich schaffs am Wochenende.

  • Oh das Buch steht bei mir seit einer Woche auch im Regal :)

  • Dann mal viel Spaß dabei, Izzie! :)

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