Originaltitel: Lord Deverill’s Heir
Inhalt:
1810. Der Tod ihres Vaters, des Earl of Stafford, wird für Arabella zum Beginn einer unglücklichen Ehe. Um ihren Landsitz zu behalten, muss sie den arroganten Justin heiraten, der ihr gleich in der Hochzeitsnacht zu erkennen gibt, dass ihr unbeschwertes Leben ein Ende hat. Sie muss sich dem rücksichtslosen Mann unterwerfen und ihm bedingungslos gehorchen. Dann gerät Justin in tödliche Gefahr, und sie muss sich entscheiden: zwischen Gehorsam und der Liebe zu einem anderen Mann …
Kommentar:
Dass sich hinter »Lord Deverills Erbe« ein typischer 1980er-Jahre-Liebesroman verbirgt, macht schon der Klappentext ziemlich deutlich – auch wenn er vorne und hinten nicht stimmt. Vor allem gibt es keinen zweiten Mann in Arabellas Leben, auch wenn ihr ein solcher von ihrem Gatten angedichtet wird. Aber von vorn.
Arabellas Vater verfügt in seinem Testament, dass seine Tochter und der neue Lord, ihr Cousin zweiten Grades, heiraten sollen. Nach kurzem Zögern willigen die beiden ein, denn sonst würden sie auf Besitz und Geld verzichten müssen; zudem fühlen sich die beiden durchaus zueinander hingezogen, das Opfer ist also nicht allzu groß. Doch kurz vor der Hochzeit taucht ein charmanter französischer Cousin auf, Comté Gervaise, der die Damen des Hauses – Arabella, ihre Mutter und ihre Halbschwester Elsbeth – mühelos zu bezirzen vermag. Justin rast vor Eifersucht, und als er nicht viel später beobachtet, wie der suspekte Franzose an seiner Hose nestelnd den Heuschober verlässt und Arabella Minuten später folgt, ist für ihn klar: seine zukünftige Frau betrügt ihn.
Natürlich bläst er aber nicht etwa die Hochzeit ab, sondern heiratet die 18-Jährige trotzdem und vergewaltigt sie in der Hochzeitsnacht – was übrigens fast schon ein Kunststück ist, denn sie ist eigentlich durchaus willens und kommt voller Vorfreude in sein Gemach, um eine wundervolle Entjungferungsnacht mit ihm zu verbringen. Sie verliert allerdings verständlicherweise die Lust, als er ihr die Kleider vom Leib reißt und sich brutal in sie rammt – obwohl es ihm keinen Spaß macht, wie er später betont! Ausgerechnet er beklagt sich hinterher auch noch bei ihr: »Vielen Dank, liebe Arabella, für diese Farce einer Hochzeitsnacht« (S. 104). Dass seine frisch Angetraute – wie er mit einiger Verwunderung feststellen muss – wider Erwarten Jungfrau ist, erklärt er mit ihrer Durchtriebenheit und unterstellt ihr, mit Cousin Gervaise »Sodomie« betrieben zu haben. Während sich der Leser noch fragt, was die Anklage der Sodomie jetzt hier verloren hat und ob Gervaise vielleicht ein wilder Hengst ist, wird die durch und durch unschuldige Arabella auch schon von ihrem weltgewandten Ehemann aufgeklärt: »Unter Sodomie versteht man gewisse Formen unnatürlichen Geschlechtsverkehrs. (…) Falls du nicht verstehen solltest, was man unter einem Akt unnatürlichen Geschlechtsverkehrs versteht, meine Liebe, brauchst du nur an dein schön gerundetes Hinterteil zu denken« (S. 113). Aha.
Arabella ist verständlicherweise vollkommen fassungslos über Justins schwachsinnige Vorwürfe, weshalb sie – vor lauter Entgeisterung – dazu schweigt. Klar, dass Justin ihr Schweigen als Schuldeingeständnis deutet. Ebenso klar, dass der Karren damit endgültig im Dreck feststeckt, sodass auch Arabellas spätere halbherzige Versuche, ihren Mann aufzuklären, natürlich fehlschlagen. Also hassen die beiden einander, obwohl sie sich ja eigentlich lieben. Immerhin kommt es zu keinen weiteren Übergriffen irgendeiner Art.
Arabellas Halbschwester hat auch nicht mehr Glück in der Liebe, denn sie fällt derweil auf den bösen Comté rein, der sie rücksichtslos zur Verwirklichung seiner durchtriebenen Pläne benutzt. Immerhin Arabellas Mutter findet den Mann ihres Lebens, während der böse Gervaise seine finsteren Intrigen spinnt. Und selbstverständlich kriegt am Ende auch Arabella noch eine Chance auf ein Happy-End, denn Justin wird infolge diverser dramatischer Entwicklungen klar, dass er die Situation damals irgendwie ein bisschen falsch eingeschätzt hat.
Na ja, was soll man dazu noch sagen?! Ein Buch, das um ein strunzdoofes Missverständnis herum konstruiert wird, in dem die Frau von ihrem Mann vergewaltigt wird und das sich trotzdem Liebesroman nennt – das ist wirklich so typisch für den 1980er-Jahre-Geschmack, dass sich jeder Kommentar erübrigt. Man kann diesen Schwachsinn heute einfach überhaupt nicht mehr ertragen, sodass man eigentlich relativ bedenkenlos sämtliche Romane aus dieser Ära entsorgen könnte.
Andererseits muss man aber auch einräumen, dass man aus diesen Büchern fürs Leben lernen kann. Nicht nur konnte ich endlich meinen offenbar falschen Sodomie-Begriff korrigieren, sondern ich weiß jetzt darüber hinaus, dass Pferde offenbar auch auf dreieinhalb Beinen ganz gut durch die Welt kommen (»Lucifer hat seinen Huf verloren«). Außerdem konnte ich meinen Wortschatz um viele neue Schimpfwörter bereichern, die ich bald mal zur Anwendung bringen werde. Besonders beeindruckend neben so langweiligen und mehrfach wiederholten Beschimpfungen wie »du dreckiger Hurensohn« und »liderliche Hure« sind meine Favoriten »skurriler Spitzbube« (S. 22) und »unmanierlicher Zankteufel« (S. 190).
Fazit:
2/15 – Warum nicht null? Weil es tatsächlich noch schlimmere Liebesromane gibt, weil Justin sein Verhalten am Ende immerhin bereut (das ist wahrlich nicht selbstverständlich bei Romanen aus dieser Ära!) und natürlich, weil ich so tolle Sachen gelernt habe!
Na ja, ob das wirklich ein Happy End ist? Wenn ich Fanfiction schreiben würde, ließe ich mir bestimmt ein anderes Ende für das Buch einfallen, in dem die Heldin mit dem Butler und dem Vermögen des Helden durchbrennt, und der Held dem Wahnsinn verfällt und sein dreihufiges Pferd heiratet…den skurrilen Spitzbuben werde ich aber auf jeden Fall in mein Repertoire derber Flüche für besonders üble Situationen aufnehmen!